3. Januar 1939
Das bereits 1936 zwangsweise veräußerte Kaufhaus Barasch wird endgültig aus dem Handelsregister gelöscht. Damit ist die „Arisierung“ des beliebten Kaufhauses formal abgeschlossen.
12. Januar 1939
Die Gestapo verhaftet 20 Mitglieder Magdeburger SPD-Widerstandsgruppen, unter ihnen Ernst Lehmann, Werner Bruscke und Ludwig Wellhausen. Mit Ausnahme der drei Hauptverdächtigen werden alle nach langen Verhören wieder entlassen. Wellhausen wird im August 1939 ohne Prozess im KZ Sachsenhausen interniert, wo er wenig später ums Leben kommt. Bruschke und Lehmann verbringen mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft und werden wegen Verstoßes gegen das Parteienverbotsgesetz zu 12 bzw. 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe ist durch die Untersuchungshaft abgebüßt, jedoch werden beide noch im Gerichtssaal von der Gestapo in „Sicherheitsverwahrung“ genommen. Bruschke wird KZ Sachsenhausen und später im KZ Dachau interniert, Lehmann im KZ Neuengamme.
19. Januar 1939
Der Ortsverband des Hilfsvereins der Juden in Deutschland wird zwangsweise aufgelöst und aus dem Vereinsregister gelöscht. Die Maßnahme ist Teil der verschärften antisemitischen Gesetzgebung nach dem Novemberpogrom von 1938. Nachdem jüdische Bürger:innen bereits weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen sind, erfolgen nun verstärkt wirtschaftliche Repressalien und die Aufhebung der innerjüdischen organisatorischen Eigenständigkeit.
21. Februar 1939
Ab dem heutigen Tag müssen Jüdinnen und Juden binnen zwei Wochen alle persönlichen Wertgegenstände, die Edelmetalle, Edelsteine und Perlen enthalten, stark unter Wert in extra eingerichteten kommunalen “Ankaufstellen” veräußern. Die antisemitische Maßnahme ist Teil der zahlreichen Richtlinien zur Einschränkung und Konfiszierung von jüdischem Vermögen, die nach dem Novemberpogrom von der deutschen Regierung erlassen worden sind.
24. März 1939
Das Amtsgericht Magdeburg weist das Standesamt an, allen Juden den Namen „Israel“ und allen Jüdinnnen den Namen „Sara“ im Geburtsregister hinzuzufügen. Grundlage hierfür ist ein Erlass des Reichsinnenministers.
27. März 1939
Der langjährige Magdeburger Rabbiner, Dr. Georg Wilde, und seine Frau Martha sind gezwungen, nach England auszuwandern. Dr. Wilde war nach dem Novemberpogrom am 10.11.1938 mit 112 weiteren Juden aus Magdeburg verhaftet und für elf Tage in das KZ Buchenwald verschleppt worden. Er musste sich nach seiner Haftentlassung bei der Gestapo verpflichten, bis zum April 1939 Deutschland zu verlassen.
4. April 1939
Wie viele andere jüdische Geschäftsinhaber:innen müssen sich auch die Geschwister Joachim und Lilli Freiberg dem jahrelangen Druck beugen und ihr Lederwarengeschäft “Taschen-Freiberg” verkaufen. Der geplante Verkauf für 14.500 RM wird wegen der angeblichen politischen Unzuverlässigkeit des Käufers von der Stadt Magdeburg abgelehnt. Schließlich erhalten die Freibergs nach monatelangen Verhandlungen 8.500 RM für das Geschäft. Erst am 4. April 1939 genehmigt die Stadtverwaltung den Verkauf und schließt damit die erzwungene “Arisierung” ab.
12. April 1939
Im Zuge der endgültigen Gleichschaltung im Bildungsbereich müssen die konfessionell gebundenen christlichen Schulen schließen. So stellen Ostern 1939 die Katholische Schule der St.-Marien-Gemeinde und die katholische St.-Norbert-Grundschule den Unterricht ein. Ein Jahr später findet an den öffentlichen Schulen auch kein katholischer Religionsunterricht mehr statt.
12. April 1939
Die 18jährige Magdeburger Sintezza Erna Lauenburger („Unku“) wird von der Kriminalpolizei vorgeladen und vernommen. Ihre Angaben werden in einer “Zigeunerpersonalakte” erfasst.
13. Mai 1939
In der Stadthalle wird die antisemitische Ausstellung “Der ewige Jude” eröffnet. Bis zum 11. Juni 1939 besuchen etwa 80.000 Menschen die diffamierende Schau. Sie bedient alle bekannten judenfeindlichen Klischees und entwirft ein wüstes Bild jüdischer Kultur in Europa. Die Ausstellung war zunächst 1937 in München zu sehen und wurde anschließend in Wien, Berlin, Bremen und Dresden gezeigt, bevor sie nach Magdeburg kam.
Sommer 1939
Wie in anderen deutschen Städten werden Jüdinnen und Juden aus ihren Wohnstätten vertrieben und in sogenannte Judenhäuser einquartiert. Hier müssen sie – zumeist bis zu ihrer Deportation – auf extrem engem Raum leben. Nicht nur Verarmung, Erniedrigung und Isolation sind nunmehr auf der Tagesordnung, sondern auch der Verlust von Privatsphäre und dem Gefühl von Sicherheit. In Magdeburg gibt es mindestens neun „Judenhäuser“.
6. Juni 1939
Nach sechs Monaten ohne ordentlichen Unterricht nimmt an der “Judenschule” wieder ein regulärer Lehrer seinen Dienst auf. Nach dem Novemberpogrom war der bisherige Lehrer in die Emigration getrieben worden.
9. Juni 1939
Die Oberfinanzdirektion Magdeburg lässt eine “Liste der wohlhabenden Juden” erstellen und ihre Vermögen erfassen. Im Fall einer erzwungenen Ausreise oder späteren Deportation aus dem Deutschen Reich soll so sichergestellt werden, dass sämtliches Vermögen der Betroffenen eingezogen werden kann.
14. Juni 1939
Der Polizeipräsident von Magdeburg erlässt eine Verordnung, die Jüdinnen und Juden das Betreten von Theatern, Kinos, Gaststätten und Hotels verbietet.
1. Juli 1939
Auf Geheiß der Baupolizei werden im “Zigeunerlager” sechs Bretterbuden abgerissen. Sie hatten den hier lebenden Sinti und Roma als notdürftige Behausungen gedient. Ersatz wird zunächst nicht geschaffen. Erst im Frühjahr und Herbst 1940 wird durch die Stadtverwaltung mit zwei primitiven Baracken Ersatz geschaffen.
4. Juli 1939
Die 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz stellt die bislang eigenständige “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” (bis Februar 1939 “Reichsvertretung”) unter staatliche Kontrolle. Fortan dient sie v.a. der Übermittlung repressiver Anordnungen des Reichssicherheitshauptamts und wird zu einem reinen Ausführungsorgan verdammt. Wie im gesamten Deutschen Reich werden in den Folgemonaten auch in Magdeburg alle noch eigenständigen jüdischen Organisationen in die “Reichsvereinigung” zwangseingegliedert.
12. Juli 1939
Die Jugendgruppe „Bund Neudeutschland“ der katholischen Probsteigemeinde St. Sebastian wird, ebenso wie sein Reichsverband, aufgelöst. Ihre Mitglieder um Vikar Heinrich Gatz können sich fortan nur zu losen Gesprächsrunden über rein religiöse Themen treffen.
4. August 1939
Moritz Choinowski, in Polen gebürtiger Jude, wird in „Schutzhaft“ genommen und ab 28. September im KZ Buchenwald interniert.Er hatte vergeblich versucht, über die Grenze nach Belgien ins Exil zu gelangen. Choinowski gehörte zu jenen jüdischen Einwander*innen, die im Herbst 1938 zwangsausgebürgert worden waren, in Polen aber keine Aufnahme fanden.
1. September 1939
Ernst Brandt, ehemaliger KPD-Stadtrat und Reichtagsabgeordneter, wird von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Er war bereits von Mai 1933 bis August 1937 in verschiedenen Strafanstalten und Konzentrationslagern inhaftiert.
1. September 1939
Als am Vormittag Hermann Spier, Lehrer der Magdeburger „Judenschule“, die Nachricht vom Kriegsbeginn erreicht, beendet er für diesen Tag den Unterricht.Vorsorglich ermahnt er die Schüler, auf dem Heimweg die Seitenstraßen zu nutzen. So sollten jede unerwünschte Aufmerksamkeit und mögliche antisemitische Übergriffe auf die Kinder vermieden werden.
10. September 1939
Nach neun Tagen im Polizeigefängnis wird der KPD-Funktionär Ernst Brandt in das KZ Buchenwald überführt.Erst im Mai 1943 wird er dort wieder entlassen. Von März 1944 bis Kriegsende sollte er erneut in Schutz- und Untersuchungshaft genommen werden.
29. September 1939
Das Israelitische Altersheim Magdeburg wird in die staatlich gesteuerte „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert.
3. Oktober 1939
Die Israelitische Beerdigungsgesellschaft verliert ihre Eigenständigkeit. Ihre Aufgaben werden von der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ übernommen.
17. Oktober 1939
Der sog. Festsetzungserlass verbietet es allen Sinti und Roma, ihren aktuellen Wohnort zu verlassen.Vom 25. bis 27. Oktober bestellt die Polizei alle in der Stadt lebenden Angehörigen der Minderheit in das Polizeipräsidium, um sie über den Erlass zu unterrichten.
21. Oktober 1939
Wie überall im Deutschen Reich werden auch in der Elbestadt die Banken angewiesen, alle offenen Darlehen und Schulden der jüdischen Gemeinschaft einzufordern. Nach Kriegsbeginn hatten die Nationalsozialisten die wirtschaftlichen und sozialen Repressionen gegen Juden ein weiteres Mal verschärft.
25.-27. Oktober 1939
Die in Magdeburg lebenden Sinti und Roma werden polzeilich vorgeladen und über den “Feststellungserlass” des Reichssicherheitshauptamtes in Kenntnis gesetzt.Der Erlass fordert die generelle Unterbringung der „Zigeuner“ in besonderen Sammellagern. Fortan sind fast alle Sinti und Roma der Stadt gezwungen, im Lager am Holzweg zu leben. Bei Zuwiderhandlungen droht die Einweisung in ein Konezntrationslager. Unter den Vorgeladenen ist auch die Sintezza Erna Lauenburger (“Unku”). Sie muss sich und ihr Kind am 25. Oktober schriftlich verpflichten, den Wohnort im Lager nicht zu verlassen. Viele der so festgesetzten Sinti und Roma sind so aufgrund des Wanderverbots der Existenzgrundlage beraubt. Insbesondere die Männer sind fortan gezwungen, sich als schlecht bezahlt Hilfsarbeiter zu verdingen.
30. November 1939
Auf Grundlage des „Wahrsagerinnen-Erlasses“ verhaftet die Polizei mehrere Sintezza und überstellt sie am 7. Februar 1940 in das KZ Ravensbrück.Unter den Verhafteten befindet sich die teilgelähmte Anna Lauenburger. Sie kommt am 14. Mai 1942 im KZ Ravensbrück ums Leben.
5. Dezember 1939
Die Jüdische Bezirksdarlehenskasse für die Region Magdeburg wird in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert und anschließend zwangsweise liquidiert. Am Ende des Jahres 1939 ist somit die Synagogen-Gemeinde die einzige verbliebene, in Magdeburg tätige, jüdische Organisation.