23. November 1932 (Vorspiel)
Nach der Beerdigung einer ihrer Scharführer marschieren mehr als 30 SA-Männer vom Friedhof in die Magdeburger Innenstadt und demonstrieren ihre politische Macht auf der Straße. Die sozialdemokratische Volksstimme urteilt: „Denn wenn eines schönen Tages die SA kommt und will in das Magdeburger Rathaus hinein, was dann?“
30. Januar 1933
Am Tag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler ruft die KPD zu Protesten und zum Generalstreik auf. In Magdeburg-Neustadt sammeln sich am Abend etwa 150 Kommunist:innen zu einer Demonstration. Die Polizei löst den Protestzug kurz nach Beginn auf. Zwei weitere kommunistische Kundgebungen in der Jakobstraße werden ebenfalls von der Polizei beendet. Sieben Personen werden verhaftet.
1. Februar 1933
Einen Tag vor dem reichsweiten Verbot untersagt der Magdeburger Polizeipräsident alle Umzüge der KPD unter freiem Himmel. Ein Aufruf zum Massenprotest wird als Hochverrat gewertet. In den nächsten Wochen kommt es zu zahlreichen Hausdurchsuchungen sowie zur Beschlagnahmung von Druckerzeugnissen und Waffen. Bis Ende März werden mehr als 160 Kommunist:innen im Regierungsbezirk Magdeburg in “Schutzhaft” genommen.
2. Februar 1933
Im Vorfeld und am Schluss einer Wahlkampfveranstaltung der SPD im Kristallpalast greifen Anhänger der NSDAP Teilnehmende der Versammlung an. Bei den gewalttätigen Zusammenstößen werden mehrere Personen werden verletzt.
12. Februar 1933
Mitglieder der HJ und hinzueilende SA-Leute greifen Besucher:innen einer Puppentheater-Aufführung im Franke-Jugendheim an. Die Veranstaltung des berühmten Schauspielers Xaver Schichtle wurde für den Ortsausschuss der Jugendpflege organisiert. Eintrittskarten wurden proportional an die Jugendverbände ausgegeben. Wegen des großen Antrags fanden nicht alle Interessierten – unter ihnen Angehörige der Hitlerjugend – Zutritt.
16. Februar 1933
Der Oberpräsident des Regierungsbezirks Magdeburg verbietet für fünf Tage die sozialdemokratische Volksstimme. Die Zeitung hatte Kritik am zurückhaltenden Vorgehen der Polizei gegen die SA während des Überfalls auf das Franke-Jugendheim geübt. Der Ortsverein des Verbandes Deutscher Buchdrucker reagiert mit einer Entschließung für die Pressefreiheit.
28. Februar 1933
Einen Tag nach dem Reichstagsbrand startet in Magdeburg eine Polizeiaktion gegen Kommunist:innen und andere politische Gegner:innen der Nationalsozialisten. Mit gezogenen Waffen dringen Polizisten in Wohnungen vor. Dutzende werden misshandelt und verhaftet. Die Polizei durchsucht und verwüstet u.a. die Redaktionsräume der „Tribüne“, das Büro der Bezirksleitung der KPD und die Geschäftsstelle des „Kampfbundes gegen den Faschismus“.
28. Februar 1933
Auf Betreiben der NSDAP in der Stadtverordnetenversammlung wird Kurt Weills und Georg Kaisers Bühnenspiel “Der Silbersee” (in der Hauptrolle Ernst Busch) nach nur einer Aufführung am Alten Theater abgesetzt. Der inszenierte Skandal führt wenig später auch zur Absetzung des Intendanten Hellmuth Götze. Das Stück hatte am 18. Februar 1933 zeitgleich an den Theatern in Magdeburg, Leipzig und Erfurt Premiere.
1. März 1933
SA-Leute überfallen den Landgerichtsdirektor Friedrich Weißler und schlagen ihn brutal zusammen. Außerdem hissen sie auf dem Gebäude des Landgerichts die Hakenkreuzfahne. Weißler wurde in den Wochen zuvor mehrfach von NSDAP-Kreisleiter Rudolf Krause verbal attackiert. Der Landgerichtsdirektor hatte Anfang des Jahres 1933 einen SA-Mann wegen einer Ordnungswidrigkeit zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 10. März wird Weißler beurlaubt und am 21. Juli 1933 auf Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen.
4. März 1933
Einen Tag vor den Reichstagswahlen werden in der Polizeikaserne am Schroteplatz 70 SA- und 40 SS-Männer sowie 40 Mitglieder des Stahlhelms zu Hilfspolizeibeamten ernannt. Am Nachmittag kommen mehr als 4.000 Angehörige von SA, SS und Stahlhelm zu einer Kundgebung auf dem Domplatz zusammen. Im Anschluss demonstrieren die Teilnehmer mit einem Fackelzug durch die gesamte Altstadt ihre Macht auf der Straße.
7. März 1933
Nach der Treueschwur auf Adolf Hitler hissen Mitglieder von Stahlhelm, SA, SS und Schutzpolizei die kaiserliche schwarz-weiß-rote, die preußische schwarz-weiße und die Hakenkreuzfahne auf der Kaserne am Schroteplatz. Als ein Geschäftsmann sich abfällig über den neuen Reichskanzler äußert, wird sein Auto demoliert und umgeworfen. Im Nachgang distanziert sich das Opfer öffentlich von seinen Äußerungen und bekräftigt seine „nationale Gesinnung“.
8. März 1933
SA-Kolonnen und Stahlhelmformationen dringen gewaltsam in das Rathaus ein und hissen die kaiserliche, die preußische sowie die Fahne der NSDAP. Max Schulze, Führer der Magdeburger “SA-Standarte 26”, erklärt die symbolische Ablösung der “roten Fahne” auf dem Rathaus zum “Gedenkstein in der Geschichte Magdeburgs”. Zuvor waren SA und Stahlhelm am Nachmittag unter Begleitung von vielen tausend Schaulustigen über die Jakobstraße zum Alten Markt marschiert. Die SA dringt auch in das Gebäude des “Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold” neben dem Kloster unser lieben Frauen ein und schießt wild um sich.
9. März 1933
Vor den anstehenden Kommunalwahlen am 12. März nutzt die SA ihre Macht auf der Straße zu antisemitischen Gewaltakten. So attackieren sie das Warenhaus “Epa” und das Hotel “Amsterdam”. Mit Waffen, Stühlen und Messern werden Kund:innen und Angestellte in Panik versetzt.
9./10. März 1933
Die SA setzt ihre seit Jahresbeginn andauernde Hetzjagd auf Kommunist:innen fort. Zwei Tage vor den angesetzten Kommunalwahlen verwüsten sie in der Nacht das Büro der KPD in der St.-Michael-Straße.
11. März 1933
SA-Männer stürmen ein weiteres Mal das Rathaus und besetzen das Bundeshaus des “Reichsbanners”. Sie beschimpfen und misshandeln Oberbürgermeister Ernst Reuter und seinen Stellvertreter Herbert Goldschmidt. Während ein Polizist Reuter vor weiteren Übergriffen schützt, wird Goldschmidt auf die Straße gezerrt und zum Hitlergruß auf die Hakenkreuzfahne gezwungen. Die SA treibt ihn anschließend zum Bundeshaus, wo sie ihn weiter schikaniert. Das Haus des “Reichsbanners” nutzt die SA unter dem Namen “Horst-Wessel-Haus” als “wildes Konzentrationslager“. Im April 1934 wird das Gebäude von der Gestapo in Besitz genommen.
18. März 1933
Der Gemeindekirchenrat stellt beim Preußischen Kultusministerium den Antrag, Ernst Barlachs Magdeburger Ehrenmal aus dem Dom entfernen zu lassen. Nach Ansicht des Kirchengremiums entspricht das Kunstwerk nicht dem “Charakter eines Ehrenmals für unsere Gefallenen” des Ersten Weltkriegs. Barlachs Figurengruppe war 1927 vom Kultusministerium in Auftrag gegeben und am 24. November 1929 im Dom eingeweiht worden. Das Ehrenmal zählt zu den bedeutendsten Antikriegskunstwerken der Moderne.
21. März 1933
6.000 Angehörige von SA, SS und Stahlhelm marschieren am Abend zum Alten Markt und besetzen ein drittes Mal innerhalb weniger Tage das Rathaus. Sie ernennen den SA-Standartenführer Max Schulze zum “kommissarischen Oberbürgermeister”. Damit nutzen auch in Magdeburg die drei “nationalen” Verbände den “Tag von Potsdam” zu einer Machtdemonstration. Vor der Rathausbesetzung hatten sie sich zu mehreren Kundgebungen in der Stadt versammelt und im Dom einen Festgottesdienst abgehalten.
24. März 1933
Die Polizei beschlagnahmt bei Durchsuchungen auf einem Grundstück an der Stephansbrücke und in einer Baracke an der Walter-Rathenau-Straße kommunistische Druckschriften und einen Vervielfältigungsapparat.
1. April 1933
Auf dem Breiten Weg und vielen anderen Straßen verfolgen Schaulustige den Boykott jüdischer Geschäfte. SA und SS beziehen zur Abschreckung potentieller Kunden vor den Unternehmen Posten. Schilder von Arztpraxen und Anwaltskanzleien werden mit roten Zetteln beklebt, auf denen „Achtung Jude“ zu lesen ist. Zahlreiche Geschäfte wie das Kaufhaus Barasch und das Schuhhaus Rheingold müssen aufgrund der Boykottaktionen schließen. Am Nachmittag hält die NSDAP zwei Massenkundgebungen ab. Auf ihnen entwirft der Parteikreisleiter Krause das Bild einer Bedrohung durch das „Weltjudentum“, der mit der „Nationalen Revolution“ geantwortet werde. Erst am 5. April wird in Magdeburg das Ende der Boykottaktionen verkündet. In den Folgejahren kommt es immer wieder zu Angriffen auf jüdische Geschäfte.
1. April 1933
Der Boykott jüdischer Geschäfte trifft auch den Internisten Dr. Aufrecht, dessen Praxisräume sich seit 1930 in der Otto-von-Guericke-Straße befinden. Die SA überklebt das Praxisschild mit der Drohung „Achtung, Jude! Besuch verboten!“ und postiert sich zur Beobachtung im Hauseingang. Einem Patienten, der sich von einem Praxisbesuch nicht abschrecken lässt, wird wenige Tage später vor die Haustür geschmiert: „Pfui, Verräter – geht zum Judenarzt!“.
2./3. April 1933
In der Nacht dringen mehr als 60 Mitglieder des Magdeburger „SS-Sturmbann I/21“ und des „Stabs II/21“ in das Geschäftshaus der Volksstimme ein. Während der Durchsuchung werden zahlreiche Schriften und Materialien beschlagnahmt. Zwei Wochen später erfolgt eine erneute Durchsuchung, diesmal durch die Kriminalpolizei. Das Gebäude wird anschließend offiziell konfisziert.
5. April 1933
Die bei der “Durchsuchung” vom 2./3. April entwendeten Schriften der Volksstimme und des sozialdemokratischen Verlagshauses Pfannkuch & Co werden von SA und SS öffentlich auf dem Domplatz verbrannt. Das Autodafé zieht zahlreiche Schaulustige an. Zuvor wurden die Schriften und Bücher bereits unter dem Jubel der Umstehenden durch die Innenstadt zum Domplatz gebracht.
Den Flammen fallen auch die 10.000 Bände der Arbeiterbibliothek zum Opfer, die der Archivar und Schriftsteller Friedrich Henneberg seit 1913 aufgebaut hatte.
6. April 1933
In Puppendorf an der Berliner Chaussee und im Stadion „Neue Welt“ kommt es nach einer Denunziation zu einer Großrazzia durch Schutzpolizei sowie SA- und SS-Verbänden. Gesucht wird nach angeblichen Waffenlagern der KPD. Gefunden wird jedoch nichts.
11. April 1933
Im Justizpalast an der Halberstädter Straße fällt eine Menschenmenge über Rechtsanwälte jüdischer Herkunft her.
11. April 1933
Unter dem Vorwurf der “Rassenschande” und Sittlichkeitsverbrechen wird der Rechtsanwalt und Vorsitzende der Magdeburger Ortsgruppe des Jüdischen Frontkämpferbundes, Dr. Willi Spanier, von der SA in Schutzhaft genommen. Die zuständigen Richter sehen jedoch keinen ausreichenden Verdacht für einen Haftbefehl. Erst im Januar 1935 sollte es zu einem Prozess gehen Spanier kommen.
24. April 1933
Nach den Kommunalwahlen vom 12. März werden auf Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ politische „Säuberungen“ vorgenommen. Der neue nationalsozialistisch und deutschnational dominierte Magistrat beschließt auf seiner Sitzung am 24. April die Entlassung des Oberbürgermeisters Reuter, des Bürgermeisters Dr. Herbert Goldschmidt, des Stadtkämmerers Max Pulvermann, des Stadtmedizinalrats Dr. Paul Konitzer, des Stadtschulrats Dr. Gustav Robert Löscher sowie der Stadträte Wilhelm Haupt und Ernst Wittmaack. Stadtrat Dr. Arnold wird in den Ruhestand versetzt. Im Sommer wird auch Johannes Göderitz, Stadtrat für den Hochbau, entlassen. Insgesamt kommt es in Magistrat und Stadtverwaltung in den ersten Monaten der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ zur Entlassung von etwa 600 städtischen – vor allem sozialdemokratischen – Angestellten.
24. April 1933
SA und Polizei besetzen gewaltsam das „Bibelhaus“, Reichszentrale der Internationalen Bibelforschervereinigung („Zeugen Jehovas“). Auf amerikanischen Druck hin wird das Gebäude am 29. April wieder frei gegeben.
29. April 1933
Der neue Staat wird zum Land der Lager: In der Turnhalle der Wasserschutzpolizei am Zollhafen wird ein erstes “Schutzhaftlager” eingerichtet. Hierher werden Ende April 1933 die ersten Häftlinge aus dem Polizeigefängnis werden wegen Überfüllung verlegt.
30. April 1933
Aufgrund seiner aktiven KPD-Mitgliedschaft wird Martin Schwantes aus dem Schuldienst entlassen. Schwantes war ab 1927 als Hilfslehrer an Magdeburger Volks- und Mittelschulen tätig gewesen.
2. Mai 1933
Nach dem martialisch gefeierten “Tag der Arbeit” besetzen SA und SS-Mitglieder der Magdeburger „Standarte 21“ gewaltsam die Büros der freien Gewerkschaften. Auch das erst 1932 fertiggestellte “Haus der Gewerkschaften“ am Ratswaageplatz wird in Besitz genommen und wenig später von der DAF als „Haus der deutschen Arbeit“ wiedereröffnet.