24. Juni 1934
Die Gestapo verhaftet die Eheleute Maria und Willi Kühne. Die beiden KPD-Mitglieder hatten in der Alten Neustadt eine Widerstandsgruppe geleitet. Sie leisteten aktive politische Aufklärungsarbeit gegen den Nationalsozialismus, insbesondere unter den Frauen Magdeburgs.
1. Juli 1934
Im Rahmen der blutigen Entmachtung der SA ab dem 30. Juni 1934 wird SA-Oberführer Max Schulze von der SS im KZ Lichtenburg erschossen. Schulze war einer der führenden Akteure des gewalttätigen Kampfes zur Etablierung des NS-Regimes in Magdeburg. Nach der dritten Besetzung des Rathauses am 21. März 1933 wurde er von der SA-Standarte 26 für einen Tag zum “kommissarischen Bürgermeister” ernannt. Später fungierte Max Schulze als stellvertretender Sonderbevollmächtigter des Obersten SA-Führers für die Provinz Sachsen.
9. Juli 1934
Die Stadt Magdeburg beginnt mit der Erstellung einer detaillierten Liste sämtlicher jüdischer Einrichtungen und Organisationen als kommunale Vorbereitung zur Umsetzung einer umfassenden gesetzlich verankerten Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden.
23. Juli 1934
Die Gestapo geht gegen Mitglieder des kommunistischen Widerstands wegen des versuchten Neuaufbaus des KPD-Bezirks Magdeburg-Anhalt vor. Fünf Personen werden in “Schutzhaft” genommen, unter ihnen die Magdeburger Kommunisten Emil Wisnewski und Paul Grensing. Sie hatten in der Region eine Widerstandsgruppe gebildet, die Zersetzungsaktionen gegen die SA durchführte. Bei Gensing werden 67 im Ofen versteckte Flugschriften beschlagnahmt. Am 1. Juli 1935 werden Wisnewski und Grensing vom Berliner Kammergericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
2. August 1934
Das Reichserziehungsministerium verfügt die Entfernung des Barlach-Ehrenmals aus dem Dom sowie dessen Überweisung an die Nationalgalerie Berlin.
15. August 1934
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg berichtet über die Verhaftung von sechs Personen Mitte Juli wegen der Verteilung kommunistischer Druckschriften. Gegen vier von ihnen ergeht Haftbefehl. Auch in Olvenstedt werden fünf Personen wegen der Verbreitung von KPD-Flugschriften festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt.
20. August 1934
Wegen “Vorbereitung zum Hochverrat” wird Martin Schwantes, KPD-Mitglied und ehemaliger Lehrer, zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Haft verbüßt er in Wehlheide bei Kassel, später in Herford und Berlin-Plötzensee. Nach Ablauf der Haftzeit wird in er das KZ Sachsenhausen verschleppt. Schwantes war Anfang 1934 aufgrund seiner Tätigkeit im kommunistischen Widerstand verhaftet worden.
24. September 1934
Wegen seines „unheroischen Charakters“ wird das Ehrenmals Ernst Barlachs für die Gefallenen des 1. Weltkriegs aus dem Dom entfernt. Seit 1933 hatten sich der Gemeindekirchenrat, Domprediger Ernst Martin und der Direktor des Kaiser-Friedrich-Museums, Walter Greischel, darum bemüht. Als „Ersatz“ für das Totenmal erfolgen auch innerkirchlich Planungen zu Errichtung eines SA-Ehrenmals in unmittelbarer Nähe des Doms. Erst 1955 findet das Kunstwerk Barlachs wieder seinen Platz im Dom.
7. Oktober 1934
Die Gestapo beendet einer Zusammenkunft der Zeugen Jehovas und verhaftet alle 17 Teilnehmenden. Die Gruppe war einem Aufruf ihrer Weltzentrale gefolgt, am 7. Oktober 1934 weltweit gegen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu protestieren. Die Gruppe in Magdeburg hatte vor der Verhaftung die Verabschiedung eines Protestbriefs an die deutsche Reichsregierung diskutiert.
15. Oktober 1934
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg berichtet über die Festnahme von insgesamt neun Personen im Monat September 1934. Ihnen wurden u.a. “kommunistische und marxistische Umtriebe” und die “Verbreitung von Greuelnachrichten” vorgeworfen.
1. November 1934
In einer Feierstunde der Deutschen Arbeitsfront berichtet Martin Nathusius, Betriebsführer der Polte OHG: “Die Firma Polte hat sich im besonderen Maße an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beteiligt. Es ist selbstverständlich, daß hierbei das Streben nach Gewinn zurücktrat gegenüber den Bestrebungen, recht viele Volksgenossen. Insbesondere altbewährte SA- und SS-Kämpfer zu Lohn und Brot zu verhelfen.”
3. November 1934
Laut einem Bericht der Staatspolizeistelle Magdeburg an das Staatspolizeiamt Berlin werden im Monat Oktober 1934 im Regierungsbezirk Magdeburg insgesamt neun Personen festgenommen. Die Polizei wirft ihnen u.a. die “Verbreitung illegaler Schriften” vor.
5. November 1934
Die Gestapo berichtet über die Festnahme von drei Personen wegen “geringer politischer Straftaten” im Oktober. Sie hatten kommunistische Flugschriften verbreitet.
11. Dezember 1934
Die Fleischerinnung veröffentlicht im Umkleideraum des Schlachthofs eine Liste jüdischer Ärzte, versehen mit der Aufforderung: “Volksgenossen, meidet diese Ärzte!” Dr. Kurt Cohn, Präsident des Landesverbands Mitteldeutschland des “Centralvereins deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens”, schreibt daraufhin einen Beschwerdebrief an das städtische Unternehmen. Nach monatelangem Schriftverkehr reagiert die Magdeburger Geschäftsstelle der Nationalsozialistischen Handwerks-, Handels- und Gewerbe-Organisation und befürwortet die antisemitische Aktion: Nunmehr würde kein “Volksgenosse” den Fehler machen, sich von “nicht-arischen” Ärzten behandeln zu lassen.
18. Januar 1935
Die Gestapo verhaftet den Arbeiter Hermann Thor unter dem Vorwurf, nach dem Verbot der KPD illegal die Parteiarbeit als Unterbezirksleiter für Magdeburg-Anhalt fortgeführt zu haben. Ihm soll der Prozess wegen “Vorbereitung zum Hochverrat” gemacht werden.
25. Januar 1935
Allen Beamten der Stadtverwaltung wird eine Liste der noch praktizierenden elf jüdischen Ärzte übergeben. Die Angestellten werden angewiesen, deren Dienste nicht in Anspruch zu nehmen. Die Ärzte, so die Anordnung, seien “nichtarisch und Staatsfeinde”.
28. Januar 1935
Dr. Willi Spanier, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Magdeburger Ortsgruppe des Jüdischen Frontkämpferbundes, wird in einem medial begleiteten Prozess vom Vorwurf der “Rassenschande” (Sittlichkeitsverbrechen) freigesprochen. Die von der SA initiierte Kampagne gegen den Anwalt zeigt dennoch Wirkung. Dr. Spanier sieht sich seines Leumundes beraubt und verlässt Magdeburg. Von Berlin aus emigriert er wenig später in die USA.
12. Februar 1935
Das Mitteldeutsche Sondergericht in Halle verurteilt das 62jährige ehemalige SPD- und Reichsbannermitglied Adolf Herbst wegen „heimtückischer Angriffe gegen die Regierung“ zu 21 Monaten Gefängnis. Der Versicherungsangestellte war 1934 verhaftet worden, weil er in einem Brief an einen Freund in Kanada die Politik des Nationalsozialismus kritisiert hatte. Herbst wird bis zu seiner Verurteilung im KZ Lichtenburg interniert. Die Gefängnisstrafe verbüßt er in Halle, Naumburg und Quedlinburg.
13. Februar 1935
Der Jüdische Centralverein berichtet über die Verbreitung von zehntausenden Kopien der Broschüre “Magdeburg’s Juden stellen sich vor”. Das akribische Verzeichnis mit Namen und Adressen jüdischer Geschäfte und Berufsinhaber:innen sowie von nichtjüdischen Geschäftsleuten mit jüdischen Ehepartner:innenn führt zu antisemitischen Boykottaktionen.
13. Februar 1935
Die Gestapo verhaftet den Lehrer Gerhard Dittmar sowie die Schlosser Otto Schumann und Paul Zumbusch wegen Bildung einer Ortsgruppe der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP). Nach sechs Wochen wird das Verfahren mangels Beweise eingestellt. Dittmar wird jedoch bis 1937 vom Schuldienst suspendiert. Schumann wird 1943 erneut verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.
4. März 1935
Die Stadtverwaltung beschließt die Errichtung eines „Zigeunerlagers“ zwischen der Ebendorfer Chaussee und dem Holzweg. Das Lager soll umzäunt und polizeilich bewacht werden. Begründet wird die Verlegung aller Wagenplätze auf den unbefestigten Platz am Rand der Stadt mit den “Unerträglichkeiten” einer engen Nachbarschaft zwischen Sinti:zze und Rom:nja und der Magdeburger Mehrheitsbevölkerung.
4. März 1935
Die Staatspolizeistelle Magdeburg meldet, “dass die Bekennende Kirche trotz allen Ableugnens weiter ein Sammelpunkt für reaktionäre Elemente” sei. Die Behörde kündigt an, ihre Versammlungen als öffentliche Versammlungen zu behandeln und sie zu verbieten. Insbesondere werden Fürbittgottesdienste für Pfarrer in KZ-Haft angeprangert.
4. März 1935
Die Gestapo berichtet über die Verhaftung von 16 Personen wegen “kommunistischer Umtriebe” im Monat Februar. Gegen acht von ihnen wird Haftbefehl erlassen. Vor dem Hintergrund der Ermittlungen gegen Hermann Thor werden vier weitere Personen verhaftet. Bei Hausdurchsuchungen werden Schriften und Materialien der Roten Hilfe beschlagnahmt. Auch in diesen Fällen erlässt das Gericht Haftbefehle.
4. März 1935
Laut Bericht der Staatspolizeistelle Magdeburg sind im Februar 1935 gegen sechs Personen Ermittlungen durchgeführt wurden. Sie sollen eine trotzkistische Widerstandsgruppe gegründet haben. Im Rahmen der Ermittlungen kommt es zu Hausdurchsuchungen. Beschlagnahmt wurden diverse Schriften. Das Gericht erließ jedoch keine Haftbefehle.
6. März 1935
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg erlässt ein Auftrittsverbot für jüdische Straßenmusiker:innen. Der Kontakt von “Nicht-Ariern” mit Deutschen könne nicht toleriert werden. Jüdinnen und Juden, die sich dem Verbot widersetzen, droht die Verhaftung.
8. März 1935
Der Kreisamtsleiter der NSDAP-Gewerbeorganisation fordert die Evangelische Kirche auf, jüdischen Organisationen die Nutzung des Grotian-Steinweg-Saal in der Stadtmission zu untersagen. Trotz des Drucks beugen sich zunächst weder die jüdische Gemeinschaft und die evangelische Kirche dieser Forderung.
1. April 1935
Der Preußische Innenminister weist den Regierungspräsidenten in Magdeburg an, die Wachturm Bibel- und Traktatgesellschaft, den Verlag der Zeugen Jehovas, aufzulösen. Am 27. April 1935 ergeht ein entsprechender Verbotsbescheid. Dem Verlag wird vorgeworfen, Mitglieder der verbotenen Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV) weiter mit Schriften zu versorgen. Zudem habe die Gesellschaft den Eindruck erweckt, dass “die Tätigkeit der als staatsfeindlich anerkannten IBV wieder erlaubt” sei.
4. April 1935
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg berichtet von der Verhaftung dreier Mitarbeiter der Magdeburger Straßenbahngesellschaft wegen Bildung einer KPD-Zelle und der Verbreitung illegaler Schriften. Außerdem ermittelt die Polizei eine Gruppe von ehemaligen Mitgliedern des Frauen- und Mädchenbundes der KPD. Die Frauen sollen sich regelmäßig in einem Einheitspreisgeschäft getroffen und Unterstützungsarbeit für die Rote Hilfe geleistet haben.
8. April 1935
Albert Hirschland, Schulleiter der “Kaufmännischen Privatschule” von Alfred Bruck, wird unter dem Vorwurf der “Rassenschande” verhaftet. Dem zum Protestantismus konvertierten Juden werden sexuelle Beziehungen mit “arischen” Schülerinnen vorgeworfen. Für den 18. Juni 1935 wird der Prozessbeginn gegen ihn angesetzt. Der Prozess gegen Hirschland wird zum ersten antisemitischen Schauprozess in Magdeburg und findet reichsweit Beachtung.
30. April 1935
Die Gestapo durchsucht in der Gartenstadt Reform – “einer Siedlung, die vorzugsweise von SPD-Leuten bewohnt wird” – fünf Wohnungen. Ihre Bewohner:innen werden verdächtigt, marxistische Propaganda zu betreiben. Entsprechende Denunziationen finden jedoch keine Bestätigung.