6. Mai 1935
Die Magdeburger NSDAP-Führung erinnert in einem Rundschreiben die Parteimitglieder daran, dass jeglicher „persönlicher Kontakt“ mit Juden verboten ist.Zuvor hatte das örtliche Polizeipräsidium erfahren, dass nicht-jüdische Anwälte – unter ihnen auch NSDAP-Mitglieder, jüdische Mandanten vertraten. Das Rundschreiben enthält daher auch den Hinweis auf die Zusammenstellung einer polizeilichen Liste betroffener Anwälte, um ggf. Disziplinarmaßnahmen ergreifen zu können.
10. Juni 1935
Acht Tage vor Beginn wird der Prozess gegen den Schulleiter Albert Hirschland auf Plakatwänden, in Straßenbahnen und an weiteren Orten der Stadt reißerisch angekündigt. Auf antisemitischen Demonstrationen hetzen Mitarbeiter des „Stürmers“ über das „wahre Gesicht der Juden“.
18. Juni 1935
Vor dem Landgericht beginnt der Prozess gegen Albert Hirschland. Das Verfahren ist der erste antisemitische Schauprozess in Magdeburg und erregt reichsweit Aufmerksamkeit.Dementsprechend groß ist die mediale Berichterstattung. Der Prozess selbst findet in geschlossener Verhandlung statt. Nur führende Nationalsozialisten, ausgewählte Fotografen und die unmittelbar Beteiligten sind anwesend.
19. Juni 1935
Nach zweitägigen Verhandlungen wird Albert Hirschland zu zehn Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.Der ehemalige Schulleiter sei ein „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ und wird illegaler sexueller Handlungen mit Schülerinnen für schuldig befunden.
28. Juni 1935
Die Polizei veranlasst die Schließung der „Obstweinschänke“, einem beliebten Treff Homosexueller in Magdeburg.
5. Juli 1935
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg verschickt Fragebögen zur Erfassung sämtlicher jüdischer Berufsumschulungslager.Auf dessen Grundlage wird die polizeiliche Kontrolle jüdischer Organisationen verschärft. Unter anderem sollte damit sichergestellt werden, dass sämtliche Aktivitäten der Vorbereitung einer möglichen Auswanderung dienen.
19. Juli 1935
Die Mitgliederversammlung der Magdeburger Freimauer beschließt die Auflösung der Loge.Der Auflösung war ein monatelanger Verfolgungsdruck durch den nationalsozialistischen Staat vorausgegangen. Ihr repräsentatives Logengebäude war bereits 1934 von der Stadtbibliothek in Besitz genommen worden.
25. Juli 1935
Die NSDAP schaltet landesweit Anzeigen, in denen sie eine Sonderausgabe des „Stürmers“ zum Prozess gegen Albert Hirschland ankündigt.
25. Juli 1935
Der Volksgerichtshof verurteilt die kommunistische Widerstandskämpferin Eva Lippold zu neun Jahren Zuchthaus.Die Hälfte ihrer Strafe muss sie in Einzelhaft verbringen. Die spätere Lebensgefährtin von Hermann Danz war zunächst in Magdeburg und dann in Berlin für die Rote Hilfe aktiv.
27. Juli 1935
Im Umfeld der Schauprozesse wegen “Sittlichkeitsvergehen” geraten auch Homosexuelle ins Visier der Gestapo. Die Polizei verhaftet zehn Magdeburger wegen des Verstoßes gegen §175 StGB.Die Männer sind ehemalige Mitglieder des Bundes für Menschenrechte. Die Homosexuellen-Organisation hatte sich regelmäßig in der Gaststätte „Deutsches Haus“ getroffen und war 1933 verboten worden.
1. August 1935
Das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ veröffentlicht eine Sonderausgabe zum Schauprozess gegen Albert Hirschland.Die sechszehnseitige Schrift erscheint deutschlandweit und intensiviert die seit Wochen andauernde Propaganda gegen den jüdischen Schulleiter.
2. August 1935
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg erlässt eine Verordnung, nach der ausgewanderte Juden, die in die Stadt zurückkehren wollen, abzuweisen sind.
20. August 1935
Die Staatspolizei löst den Jüdischen Turn- und Sportverein Bar Kochba auf. Der Verein als Mitglied des internationalen Sportverbands Makkabi war seit 1923 unter der Leitung von Joachim Freiberg für die städtische jüdische Gemeinschaft tätig. Hintergrund der Zwangsauflösung ist eine Anordnung, alle jüdischen Organisationen zu verbieten, die nicht Mitglied des Reichsverbandes jüdischer Kulturbünde sind. Ausgenommen hiervon sind Schulen und Religionsgemeinschaften. Von der Auflösung erhofft sich die Polizei die einfachere Überwachung der Aktivitäten von Juden.
21. August 1935
Die Staatspolizei weist an, dass Juden keinerlei Auskünfte zu Aktivitäten – insbesondere geschäftlicher Art – von Nichtjuden zu gäben wären.
21. August 1935
Die Pressehetze gegen Albert Hirschland motiviert zahlreiche Institutionen zu antisemitischen Aktionen.Die Straßenbahndirektion lässt ihn ihren Bahnen Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ anbringen. Und die Magdeburger Schlosserinnung veröffentlicht eine Erklärung gegen Jüdinnen und Juden.
23. August 1935
Julius Streicher, Herausgeber des „Stürmers“, hält anlässlich des Schauprozesses gegen Albert Hirschland eine antisemitische Massenveranstaltung in der Stadthalle ab.In einer mehrstündigen Rede fordert er scharfe Maßnahmen gegen Juden. Begleitend zur Kundgebung verkünden im gesamten Stadtgebiet Transparente das „Stürmer“-Credo „Die Juden sind unser Unglück“. Vor Geschäften rufen Plakate zum Boykott jüdischer Händler auf.
23. August 1935
Die antisemische Hetzkampagne anlässlich des Prozesses gegen Albert Hirschland zeigt Wirkung: Vor jüdischen Geschäften kommt es zu gewalttätigen Zusammenrottungen.Kunden werden beschimpft und fotografiert.
24. August 1935
Die Kaufhäuser Barasch und Salberg werden zum Hauptziel des antisemitischen Mobs.Kunden werden bespuckt und geschlagen. Einige Tausend Demonstranten blockieren die Eingänge zu den von Juden geführten Geschäften. Die Polizei erzwingt schließlich die vorübergehende Schließung der Kaufhäuser. Ihre Angestellten müssen durch die Hinterausgänge vor den gewalttätigen Massen fliehen.
2. September 1935
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg verfügt die Anlegung einer Kartei sämtlicher Juden und jüdischen Organisationen.Fortan werden vierteljährlich Namenslisten der Mitglieder jüdischer Gemeinden und Organisationen erstellt. In jeweils dreifacher Ausfertigung dokumentiert die Kartei auch Abgänge durch Umzug, Tod oder Auswanderung.
3. September 1935
Die Gestapo nimmt das KPD-Mitglied Karl Wagner fest. Zuvor hatte die Stapostelle Berlin den dortigen Parteiapparat unterwandert und Verbindungen nach Magdeburg aufgedeckt.Die Aktion ist Teil einer Verhaftungswelle gegen 150 KPD-Funktionäre im Regierungsbezirk Magdeburg. Der Polizeieinsatz zwischen September 1935 und Mai 1936 zerschlägt für mehr als sieben Jahre den organisierten Widerstand der KPD in der Region.
6. September 1935
Die Gestapo Magdeburg verhaftet Gerhard Holzer, Leiter des Betriebsberichterstatter-Apparats der KPD in Magdeburg.Der gelernte Former initiierte den Aufbau von KPD-Betriebszellen im Untergrund und lieferte den Parteigremien Informationen aus der Magdeburger Rüstungsindustrie.
8. September 1935
Die Staatspolizeistelle verbietet allen Juden den Besuch des Stadtarchivs, der Bibliotheken und der Buchläden. Auch den städtischen Bädern sollen sie fernbleiben.
21. September 1935
Die Bezirksregierung Magdeburg verschickt an die Stadtverwaltung Fragebögen zur „Rassenzugehörigkeit“ aller Schüler.Die ausgefüllten Bögen sind bis zum 1. November zurückzuschicken. Hintergrund war das Bemühen, jüdische Schüler vom Besuch staatlicher Schulen auszuschließen.
24. September 1935
Bei einer Boykottaktion gegen jüdische Käufer werden in den Geschäften eigens von der NSDAP gefertigte Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht!“ aufgehängt.Die Schilder der Partei sollen den „Gemeinschaftssinn“ stärken und „Einheitlichkeit“ bei der Umsetzung der Aktion erzielen.
4. Oktober 1935
Alle Beamten im Gau Magdeburg-Anhalt werden angewiesen, keinesfalls in „nicht-arischen Einrichtungen einzukaufen.
8. Oktober 1935
Wenige Wochen nach Verkündigung der „Nürnberger Gesetze“ verschickt die Bezirksregierung an ihre Behörden einen „Fragebogen zum Nachweis der arischen Abstammung“.Der fünfseitige Bogen muss von allen Angestellten bis zum 25. Oktober in zweifacher Ausfertigung ausgefüllt zurückgegeben werden. Bis zum 25. November müssen zudem die eigenen Geburtsurkunden sowie die der Eltern und Großeltern zur Überprüfung eingereicht werden.
16. Oktober 1935
Die Abstammungsüberprüfungen führen zur Empfehlung der Schulbehörde, vier städtische Lehrer „jüdischer Abstammung“ aus dem Schuldienst zu entlassen.
16. Oktober 1935
Die Bezirksregierung weist alle Geldinstitute und die städtische Feuerwehr an, jüdische Angestellte zu suspendieren.
20. Oktober 1935
Studienrat Hans Rothenberg, Lehrer an der Lessing-Schule wird als Jude mit sofortiger Wirkung suspendiert.
4. November 1935
Maria Gottschalk, Lehrerin am privaten Elisabeth-Rosenthal-Gymnasium wird als Jüdin aus dem Schuldienst entlassen.