25. Januar 1935
Allen Beamten der Stadtverwaltung wird eine Liste mit den Namen von elf jüdischen Ärzten übergeben. Die Angestellten werden angewiesen, deren Dienste nicht in Anspruch zu nehmen.Die Ärzte, so die Anordnung, seien „nichtarisch und Staatsfeinde“.
12. Februar 1935
Das Mitteldeutsche Sondergericht in Halle verurteilt das 62jährige ehemalige SPD- und Reichsbannermitglied Adolf Herbst wegen „heimtückischer Angriffe gegen die Regierung“ zu 21 Monaten Gefängnis.Der Versicherungsangestellte wurde 1934 verhaftet, weil er in einem Brief an einen Freund in Kanada die Politik des Nationalsozialismus kritisiert hatte. Er wurde bis zu seiner Verurteilung im KZ Lichtenburg interniert. Die Gefängnisstrafe verbüßt er in Halle, Naumburg und Quedlinburg.
13. Februar 1935
Der Jüdische Centralverein berichtet über die Verbreitung von zehntausenden Kopien der Broschüre „Magdeburg’s Juden stellen sich vor“.Das akribische Verzeichnis mit Namen und Adressen jüdischer Geschäfte und Berufsinhaber sowie von Nichtjuden mit jüdischen Ehepartnern führt zu gezielten Boykotten und antisemitischen Aktivitäten.
4. März 1935
Die Stadtverwaltung beschließt die Errichtung eines „Zigeunerlagers“ zwischen der Ebendorfer Chaussee und dem Holzweg.Das Lager soll umzäunt und polizeilich bewacht werden. Begründet wird die Verlegung aller Wagenplätze auf den unbefestigten Platz am Rand der Stadt mit den „Unerträglichkeiten“ einer engen Nachbarschaft zwischen Sinti und Roma und der Magdeburger Mehrheitsbevölkerung.
4. März 1935
Die Staatspolizeistelle Magdeburg meldet, „dass die Bekennende Kirche trotz allen Ableugnens weiter ein Sammelpunkt für reaktionäre Elemente“ sei.Die Behörde kündigt an, ihre Versammlungen als öffentliche Versammlungen zu behandeln und sie zu verbieten. Insbesondere werden Fürbittgottesdienste für Pfarrer in KZ-Haft angeprangert.
6. März 1935
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg erlässt ein Auftrittsverbot für jüdische Straßenmusiker.Der Kontakt von „Nicht-Ariern“ mit Deutschen könne nicht toleriert werden. Jüdinnen und Juden, die sich dem Verbot widersetzen droht die Verhaftung.
8. März 1935
Der Kreisamtsleiter der NSDAP-Gewerbeorganisation fordert die Evangelische Kirche auf, jüdischen Organisationen die Nutzung des Grotian-Steinweg-Saal in der Stadtmission zu untersagen.Trotz des Drucks beugten sich zunächst weder die jüdische Gemeinschaft und die evangelische Kirche dieser Forderung.
1. April 1935
Der Preußische Innenminister weist den Regierungspräsidenten in Magdeburg an, die Wachturm Bibel- und Traktatgesellschaft, den Verlag der “Zeugen Jevohas”, aufzulösen.Am 27. April 1935 ergeht ein entsprechender Verbotsbescheid. Dem Verlag wird vorgeworfen, Mitglieder der verbotenen Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV) weiter mit Schriften zu versorgen. Zudem habe die Gesellschaft den Eindruck erweckt, dass „die Tätigkeit der als staatsfeindlich anerkannten IBV wieder erlaubt“ sei.
8. April 1935
Albert Hirschland, Schulleiter der „Kaufmännischen Privatschule“, wird unter dem Vorwurf der „Rassenschande“ verhaftet.Dem zum Protestantismus konvertierten Juden werden sexuelle Beziehungen mit „arischen“ Schülerinnen vorgeworfen. Für den 18. Juni 1935 wird der Prozessbeginn gegen ihn angesetzt. Der Prozess gegen Hirschland wird zum ersten antisemitischen Schauprozess in Magdeburg.
6. Mai 1935
Die Magdeburger NSDAP-Führung erinnert in einem Rundschreiben die Parteimitglieder daran, dass jeglicher „persönlicher Kontakt“ mit Juden verboten ist.Zuvor hatte das örtliche Polizeipräsidium erfahren, dass nicht-jüdische Anwälte – unter ihnen auch NSDAP-Mitglieder, jüdische Mandanten vertraten. Das Rundschreiben enthält daher auch den Hinweis auf die Zusammenstellung einer polizeilichen Liste betroffener Anwälte, um ggf. Disziplinarmaßnahmen ergreifen zu können.
10. Juni 1935
Acht Tage vor Beginn wird der Prozess gegen den Schulleiter Albert Hirschland auf Plakatwänden, in Straßenbahnen und an weiteren Orten der Stadt reißerisch angekündigt. Auf antisemitischen Demonstrationen hetzen Mitarbeiter des „Stürmers“ über das „wahre Gesicht der Juden“.
18. Juni 1935
Vor dem Landgericht beginnt der Prozess gegen Albert Hirschland. Das Verfahren ist der erste antisemitische Schauprozess in Magdeburg und erregt reichsweit Aufmerksamkeit.Dementsprechend groß ist die mediale Berichterstattung. Der Prozess selbst findet in geschlossener Verhandlung statt. Nur führende Nationalsozialisten, ausgewählte Fotografen und die unmittelbar Beteiligten sind anwesend.
19. Juni 1935
Nach zweitägigen Verhandlungen wird Albert Hirschland zu zehn Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.Der ehemalige Schulleiter sei ein „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ und wird illegaler sexueller Handlungen mit Schülerinnen für schuldig befunden.
28. Juni 1935
Die Polizei veranlasst die Schließung der „Obstweinschänke“, einem beliebten Treff Homosexueller in Magdeburg.
5. Juli 1935
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg verschickt Fragebögen zur Erfassung sämtlicher jüdischer Berufsumschulungslager.Auf dessen Grundlage wird die polizeiliche Kontrolle jüdischer Organisationen verschärft. Unter anderem sollte damit sichergestellt werden, dass sämtliche Aktivitäten der Vorbereitung einer möglichen Auswanderung dienen.
19. Juli 1935
Die Mitgliederversammlung der Magdeburger Freimauer beschließt die Auflösung der Loge.Der Auflösung war ein monatelanger Verfolgungsdruck durch den nationalsozialistischen Staat vorausgegangen. Ihr repräsentatives Logengebäude war bereits 1934 von der Stadtbibliothek in Besitz genommen worden.
25. Juli 1935
Die NSDAP schaltet landesweit Anzeigen, in denen sie eine Sonderausgabe des „Stürmers“ zum Prozess gegen Albert Hirschland ankündigt.
25. Juli 1935
Der Volksgerichtshof verurteilt die kommunistische Widerstandskämpferin Eva Lippold zu neun Jahren Zuchthaus.Die Hälfte ihrer Strafe muss sie in Einzelhaft verbringen. Die spätere Lebensgefährtin von Hermann Danz war zunächst in Magdeburg und dann in Berlin für die Rote Hilfe aktiv.
27. Juli 1935
Im Umfeld der Schauprozesse wegen “Sittlichkeitsvergehen” geraten auch Homosexuelle ins Visier der Gestapo. Die Polizei verhaftet zehn Magdeburger wegen des Verstoßes gegen §175 StGB.Die Männer sind ehemalige Mitglieder des Bundes für Menschenrechte. Die Homosexuellen-Organisation hatte sich regelmäßig in der Gaststätte „Deutsches Haus“ getroffen und war 1933 verboten worden.
1. August 1935
Das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ veröffentlicht eine Sonderausgabe zum Schauprozess gegen Albert Hirschland.Die sechszehnseitige Schrift erscheint deutschlandweit und intensiviert die seit Wochen andauernde Propaganda gegen den jüdischen Schulleiter.
2. August 1935
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg erlässt eine Verordnung, nach der ausgewanderte Juden, die in die Stadt zurückkehren wollen, abzuweisen sind.
20. August 1935
Die Staatspolizei löst den Jüdischen Turn- und Sportverein Bar Kochba auf. Der Verein als Mitglied des internationalen Sportverbands Makkabi war seit 1923 unter der Leitung von Joachim Freiberg für die städtische jüdische Gemeinschaft tätig. Hintergrund der Zwangsauflösung ist eine Anordnung, alle jüdischen Organisationen zu verbieten, die nicht Mitglied des Reichsverbandes jüdischer Kulturbünde sind. Ausgenommen hiervon sind Schulen und Religionsgemeinschaften. Von der Auflösung erhofft sich die Polizei die einfachere Überwachung der Aktivitäten von Juden.
21. August 1935
Die Staatspolizei weist an, dass Juden keinerlei Auskünfte zu Aktivitäten – insbesondere geschäftlicher Art – von Nichtjuden zu gäben wären.
21. August 1935
Die Pressehetze gegen Albert Hirschland motiviert zahlreiche Institutionen zu antisemitischen Aktionen.Die Straßenbahndirektion lässt ihn ihren Bahnen Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ anbringen. Und die Magdeburger Schlosserinnung veröffentlicht eine Erklärung gegen Jüdinnen und Juden.
23. August 1935
Julius Streicher, Herausgeber des „Stürmers“, hält anlässlich des Schauprozesses gegen Albert Hirschland eine antisemitische Massenveranstaltung in der Stadthalle ab.In einer mehrstündigen Rede fordert er scharfe Maßnahmen gegen Juden. Begleitend zur Kundgebung verkünden im gesamten Stadtgebiet Transparente das „Stürmer“-Credo „Die Juden sind unser Unglück“. Vor Geschäften rufen Plakate zum Boykott jüdischer Händler auf.
23. August 1935
Die antisemische Hetzkampagne anlässlich des Prozesses gegen Albert Hirschland zeigt Wirkung: Vor jüdischen Geschäften kommt es zu gewalttätigen Zusammenrottungen.Kunden werden beschimpft und fotografiert.
24. August 1935
Die Kaufhäuser Barasch und Salberg werden zum Hauptziel des antisemitischen Mobs.Kunden werden bespuckt und geschlagen. Einige Tausend Demonstranten blockieren die Eingänge zu den von Juden geführten Geschäften. Die Polizei erzwingt schließlich die vorübergehende Schließung der Kaufhäuser. Ihre Angestellten müssen durch die Hinterausgänge vor den gewalttätigen Massen fliehen.
2. September 1935
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg verfügt die Anlegung einer Kartei sämtlicher Juden und jüdischen Organisationen.Fortan werden vierteljährlich Namenslisten der Mitglieder jüdischer Gemeinden und Organisationen erstellt. In jeweils dreifacher Ausfertigung dokumentiert die Kartei auch Abgänge durch Umzug, Tod oder Auswanderung.
3. September 1935
Die Gestapo nimmt das KPD-Mitglied Karl Wagner fest. Zuvor hatte die Stapostelle Berlin den dortigen Parteiapparat unterwandert und Verbindungen nach Magdeburg aufgedeckt.Die Aktion ist Teil einer Verhaftungswelle gegen 150 KPD-Funktionäre im Regierungsbezirk Magdeburg. Der Polizeieinsatz zwischen September 1935 und Mai 1936 zerschlägt für mehr als sieben Jahre den organisierten Widerstand der KPD in der Region.