11. November 1935
Mehrere Anzeigen bei der Polizei beklagen, dass es noch immer jüdische Händler gebe, die „arische“ Firmen vertreten würden. Die Polizei wird gebeten dagegen vorzugehen.Ebenso werden Bauern angezeigt, die Geschäfte mit jüdischen Viehhändlern betreiben würden. Hintergrund ist eine Anordnung des Reichswirtschaftsministers vom 25. September, „nicht-arische“ Händler von sämtlichen Märkten auszuschließen.
28. November 1935
Ein Händler fordert mit einer Anzeige, Juden aus dem Viehhandel zu drängen und eine öffentliche Empörung gegen jüdische „Preistreiberei“ zu schüren.Das unterstellte jüdische Handelsmonopol führe zu „Unzufriedenheit und Unruhen in der örtlichen Bevölkerung“.
2. Dezember 1935
Der Polizeipräsident verfügt, dass Juden nur dann Milch zu verkaufen sei, wenn diese ein „akzeptables Äußeres“ und ein „unscheinbares Auftreten“ hätten.
2. Dezember 1935
Die Gestapo untersagt grundsätzlich alle jüdischen Veranstaltungen an christlichen Feiertagen und Sonntagen. Grund hierfür seien eingeschränkte Überwachungsmöglichkeiten an diesen Tagen.
9. Dezember 1935
Die Staatspolizeistelle untersagt öffentliche Werbekampagnen für die Jüdische Winterhilfe. Verstöße seien zu melden und anzuzeigen.
12. Dezember 1935
Die Staatspolizeistelle verfügt die vorläufige Schließung des Kaufhauses Barasch.Dem Besitzer wird mitgeteilt, dass das Geschäft erst am 14. Dezember nach Austausch aller leitenden Angestellten durch „arisches“ Personal wieder öffnen könne. Zuvor hatte ein Informant männliche Angestellte denunziert, „ernst zu nehmende Sittlichkeitsvergehen“ gegen weibliche Angestellte begangen zu haben. In allen Fällen geht es um Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, die vor den Nürnberger Gesetzen als völlig normal erachtet worden wären.
14. Dezember 1935
Sechs leitende jüdische Angestellte des Kaufhauses Barasch werden in Gewahrsam genommen.Um das Geschäft wieder öffnen zu können, stellt der jüdische Besitzer, Hermann Broder, an ihrer statt „arische“ Fachkräfte ein. Die Kampagne gegen das Kaufhaus veranlasst zahlreiche weitere jüdische Mitarbeiter zu kündigen. So unter Druck gesetzt, prüft Broder den Verkauf seines Unternehmens.
16. Januar 1936
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg verbietet Juden das Tragen von Abzeichen des Reichs-Sportbundes.Dies betrifft sowohl die Senioren- als auch die Jugendabteilungen. Die Gruppenführer der Jugendabteilungen sollen zudem die „arische Abstammung“ ihrer Mitglieder sicherstellen. Zahlreiche jüdische Jugendliche werden daraufhin aus den nicht-jüdischen Sportvereinen ausgeschlossen.
24. Februar 1936
Julius Fischel, Isidor Gans und August Oehm – leitende jüdische Angestellte des Kaufhauses Barasch – werden wegen “Rassenschande” zu Gefängnisstrafen verurteilt.Ihnen werden Beziehungen zu nicht-jüdischen Angestellten zur Last gelegt. Bereits im Dezember 1935 wurden sie deshalb auf polizeilichen Druck hin entlassen. Vor dem Hintergrund einer öffentlichen Kampagne gegen die jüdische Belegschaft des Kaufhauses reichen in den folgenden Wochen zahlreiche Mitarbeiter ihre Kündigung ein.
27.-29. Februar 1936
Die Staatspolizeistelle Magdeburg nimmt 24 Funktionäre der illegalen KPD fest.Unter den Inhaftierten befinden sich Jakob Westermann (Stadtteilleiter in Sudenburg und zeitweise Politischer Leiter der Partei für den Bezirk Magdeburg-Anhalt), Louis Koch (Altstadt), Emanuel Larisch (Buckau), Gustav Hamel (Leiter der Roten Hilfe in Buckau), Wilhelm Kutz (Techniker der Bezirksleitung) sowie Friedrich Wagner und Otto Werner Kessler (Kassierer der Bezirksleitung). Verhaftet werden auch Funktionäre aus dem Kommunistischen Jugendverband und der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit. Mit den Festnahmen gelang es der Gestapo, den organisierten Widerstand der KPD im Bezirk Magdeburg-Anhalt zu zerschlagen.
12. März 1936
Alle Versammlungen der noch zugelassenen jüdischen Organisationen werden bis zur Reichstagswahl am 29. März verboten. So soll jede jüdische politische Tätigkeit unterbunden werden.
20. März 1936
Vor dem Hintergrund der antisemitischen Kampagne gegen das Kaufhaus Barasch muss dessen Inhaber, Hermann Broder, das Unternehmen an den “arischen” Kaufmann Willibald Lemke verkaufen.Broder sah sich der Kampagne schutzlos ausgeliefert und war besorgt – analog zu seinen leitenden Angestellten – ebenfalls bezichtigt zu werden, sexuelle Beziehungen zu “Ariern” zu haben.
4. April 1936
Die preußische Staatspolizei verbietet auf allen jüdischen Versammlungen den Gebrauch der hebräischen Sprache. Zuvor hatte es Beschwerden gegeben, dass auf öffentlichen Versammlungen „immer noch“ hebräisch gesprochen würde und dies die polizeiliche Überwachung verhindere.
22. April 1936
Die Regierung der Provinz Sachsen verfügt, dass alle antisemitischen Schilder in Beschriftung und Form der von der NSDAP angeordneten einheitlichen Beschilderung folgen müssen.Dies sei mit Blick auf ausländische Besucher von großer Bedeutung.
24. April 1936
Der Oberpräsident der Provinz Sachsen und der preußische Wirtschaftsminister weisen an, sämtliche jüdischen Handelsvertreter durch “arische” Beauftragte zu ersetzen.
30. April 1936
Die Provinzialregierung fordert alle Regierungsstellen auf, für eine sprachlich einheitliche antisemitische Beschilderung zu sorgen.Man wolle die Bevölkerung über jüdische „Verbrechen“ informieren und nicht, wie in Magdeburg, besonders “gehässig” gegenüber Juden sein.
23. Mai 1936
Die Staatspolizei Magdeburg erlässt ein zweimonatiges Verbot des Rings “Bund Jüdischer Jugend”.
24. Juli 1936
Im Rahmen einer gezielten Aktion gegen die Zeugen Jehovas werden 16 Mitglieder der verbotenen Glaubensgemeinschaft verhaftet. Bis Ende des Jahres kommen weitere 40 Angehörige hinzu.
30. Juli 1936
Polizeipräsident Thule von Klinckowström stellt in einem Abschlussbericht die endgültige “Arisierung“” des Kaufhauses Barasch fest.Das Kaufhaus sei “nunmehr an den Kaufmann L[emke]aus Köslin veräußert worden.” Weiter heißt es: “Eine Beteiligung der bisherigen Firmen-Inhaber an dem Umsatz des neuen Unternehmens besteht […] nicht mehr, sodass es sich bei der neuen Firma L. nicht um ein getarntes jüdisches Unternehmen handeln dürfte.”
4. August 1936
Das Landgericht verurteilt den jüdischen Bankier Philipp Schmulewitz wegen Devisenhandels zu einem Jahr Zuchthaus und 2.000 Reichsmark Geldstrafe.Der medial reißerisch begleitete Schauprozess beruht auf nicht bewiesenen Anklagepunkten und zielt auf die Demütigung und Entrechtung des Angeklagten. Dessen herzkranke Ehefrau Selma flieht vor der Hetzkampagne zu ihren Kindern nach England, die hier mit Unterstützung des Bankiers Zuflucht gefunden hatten. Die Lebenssituation der Familie wird zunehmend prekärer. Aller Zukunftsperspektiven beraubt, nimmt sich der 17jährige Sohn Herbert am 28. Juni 1937 das Leben.
Herbst 1936
Die Staatspolizei Magdeburg zerschlägt eine trotzkistische Widerstandsgruppe, die vor allem in der Altstadt aktiv gewesen ist. Zwei ihrer Mitglieder, Max Laufer und Oskar Krämer, können aus der Haft entkommen.
7. Oktober 1936
Die Staatspolizei in Berlin nimmt Friedrich Weißler, bis zu seiner Entlassung am 21. Juli 1933 Landgerichtsdirektor in Magdeburg, in U-Haft.Unter seiner Mitwirkung war von der Bekennenden Kirche eine Denkschrift gegen die Zerstörung der kirchlichen Ordnung durch den NS-Staat an den Reichskanzler ausgearbeitet worden. Weißler wird vorgeworfen, die Denkschrift an die internationale Presse weitergegeben zu haben. Ende Januar 1937 wird er aus der Haft entlassen und in das KZ Sachsenhausen überstellt. Dort wird er am 19. Februar 1937 ermordet.
24. November 1936
Auf Betreiben des Direktors der Landesheilanstalt Haldensleben wird Else R. auf Kosten der Stadt Magdeburg zwangssterilisiert.Else R. litt als junge Frau unter Depressionen und ließ sich auf eigenen Wunsch in die Nervenklinik Sudenburg einweisen. Von dort wurde sie nach Haldensleben verlegt. 1940 erfolgt ihre Einweisung in die Landesheilanstalt Uchtspringe.
12. Dezember 1936
Im Rahmen einer reichsweiten Protestaktion verteilen Mitglieder der Zeugen Jehovas auch in Magdeburg etwa 4.000 Flugblätter und fordern die Wiederzulassung der Glaubensgemeinschaft.Die Aktion wird von Ludwig Göbel vorbereitet, der die religiöse Tätigkeit der Zeugen Jehovas illegal fortführte.
14. Dezember 1936
Die Gestapo verfügt, dass fortan alle ausgewanderten Juden, die nach Magdeburg zurückkehren, inhaftiert werden sollen.
30. Dezember 1936
Die Geheime Staatspolizei löst den Ring “Bund Jüdischer Jugend” endgültig auf.Begründet wird die Auflösung damit, dass die Mitglieder des Rings Uniformen tragen und “militärtaugliche Übungen” durchführen würden. Beides sei jedoch verboten.
1. März 1937
Der Direktor des Staatsarchivs weist Anfang des Jahres an, bis zum 1. März ein vollständiges Bestandsverzeichnis des Materials zu städtischen jüdischen Geschichte anzufertigen.Die dabei erfassten Hinweise auf Namensänderungen wurden als Versuche der betroffenen Familien ausgelegt, aus „kriminellen“ Gründen die Änderungen vorgenommen zu haben.
15. März 1937
Die preußische Regierung verbietet allen jüdischen Geschäften, Fahnen mit Hakenkreuz oder anderen nationalen Symbolen herzustellen oder zu verkaufen.Damit sollte öffentlich sichtbar die vermeintliche „Staatsfeindlichkeit“ der Juden verdeutlicht werden. Groteskerweise wurde Spielzeug von diesem Verbot ausgenommen.
30. März 1937
Die Gestapo fordert alle Dienststellen in Preußen auf, die Namen aller Kur- und Badeorte aufzulisten, die von Juden besucht werden.Ziel war es, jüdische Familien auf den Besuch rein jüdischer Anstalten zu beschränken.
10. April 1937
Wie überall im Reich wird auch der Magdeburger Ableger der B’nai B’rith, die Mendelssohn-Loge, zerschlagen.Eigentum und Vermögen werden konfisziert, sämtliche Akten beschlagnahmt. Die Loge hatte ihren Sitz am Breiten Weg und wurde bis zur ihrer Auflösung von den Rabbinern Dr. Georg Wilde und Georg Schäfer geführt.