30. Januar 1933
Am Tag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler ruft die KPD zu Protesten und zum Generalstreik auf. In Magdeburg-Neustadt sammeln sich am Abend etwa 150 Kommunisten zu einer Demonstration. Die Polizei löst den Protestzug kurz nach Beginn auf. Zwei weitere kommunistische Kundgebungen in der Jakobstraße werden ebenfalls von der Polizei beendet. Sieben Personen werden verhaftet.
1. Februar 1933
Einen Tag vor dem reichsweiten Verbot untersagt der Magdeburger Polizeipräsident alle Umzüge der KPD unter freiem Himmel.Ein Aufruf zum Massenprotest wird als Hochverrat gewertet. In den nächsten Wochen kommt es zu zahlreichen Hausdurchsuchungen sowie zur Beschlagnahmung von Druckerzeugnissen und Waffen. Bis Ende März werden mehr als 160 Kommunisten im Regierungsbezirk Magdeburg in „Schutzhaft“ genommen.
2. Februar 1933
Im Vorfeld und am Schluss einer Wahlkampfveranstaltung der SPD im Kristallplast greifen Anhänger der NSDAP Teilnehmer der Versammlung an.Bei den gewalttätigen Zusammenstößen werden mehrere Personen werden verletzt.
12. Februar 1933
Mitglieder der HJ und hinzueilende SA-Leute greifen Besucher einer Puppentheater-Aufführung im Franke-Jugendheim an.Die Veranstaltung des berühmten Schauspielers Xaver Schichtle wurde für den Ortsausschuss der Jugendpflege organisiert. Eintrittskarten wurden proportional an die Jugendverbände ausgegeben. Wegen des großen Antrags fanden nicht alle Interessierten – unter ihnen Angehörige der Hitlerjugend – Zutritt.
16. Februar 1933
Der Oberpräsident des Regierungsbezirks Magdeburg verbietet die sozialdemokratische Volksstimme für fünf Tage.Die Zeitung hatte Kritik am zurückhaltenden Vorgehen der Polizei gegen die SA während des Überfalls auf das Franke-Jugendheim geübt. Der Ortsverein des Verbandes Deutscher Buchdrucker reagiert mit einer Entschließung für die Pressefreiheit.
28. Februar 1933
Einen Tag nach dem Reichstagsbrand startet in Magdeburg eine Polizeiaktion gegen Kommunisten und andere politische Gegner der Nationalsozialisten.Mit gezogenen Waffen dringen Polizisten in Wohnungen vor. Dutzende werden misshandelt und verhaftet. Die Polizei durchsucht und verwüstet u.a. die Redaktionsräume der „Tribüne“, das Büro der Bezirksleitung der KPD und die Geschäftsstelle des „Kampfbundes gegen den Faschismus“.
1. März 1933
SA-Leute überfallen den Landgerichtspräsidenten Friedrich Weißler und schlagen ihn brutal zusammen.Außerdem hissen sie auf dem Gebäude des Landgerichts die Hakenkreuzfahne. Weißler wurde in den Wochen zuvor mehrfach von NSDAP-Kreisleiter Rudolf Krause verbal attackiert. Der Landgerichtspräsident hatte Anfang des Jahres 1933 einen SA-Mann wegen einer Ordnungswidrigkeit zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 10. März wird Weißler beurlaubt und am 21. Juli 1933 auf Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ als Jude entlassen.
4. März 1933
Einen Tag vor den Reichstagswahlen werden in der Polizeikaserne am Schroteplatz 70 SA- und 40 SS-Männer sowie 40 Mitglieder des Stahlhelms zu Hilfspolizeibeamten ernannt.Am Nachmittag kommen mehr als 4.000 Angehörige von SA, SS und Stahlhelm zu einer Kundgebung auf dem Domplatz zusammen. Im Anschluss demonstrieren die Teilnehmer mit einem Fackelzug durch die gesamte Altstadt ihre Macht auf der Straße.
7. März 1933
Als ein Geschäftsmann sich abfällig über Hitler äußert, wird sein Auto demoliert und umgeworfen.Der Gewaltakt zeigt Wirkung: Das Opfer distaziert sich öffentlich von seinen Äußerungen und bekräftig seine „nationale Gesinnung“. Die Tat ereignet sich, nachdem Mitglieder von Stahlhelm, SA, SS und Schutzpolizei einen Treueeid auf den neuen Reichskanzler geleistet sowie auf der Kaserne am Schroteplatz die kaiserliche schwarz-weiß-rote, die preußische schwarz-weiße und die Hakenkreuzfahne gehisst hatten.
8. März 1933
SA-Kolonnen und Stahlhelmformationen dringen gewaltsam in das Rathaus ein und hissen die kaiserliche, die preußische sowie die Fahne der NSDAP. Max Schulte, Führer der Magdeburger „SA-Standarte 26“ erklärt die symbolische Ablösung der „roten“ Fahne auf dem Rathaus zum „Gedenkstein in der Geschichte Magdeburgs“. Zuvor waren SA und Stahlhelm am Nachmittag unter Begleitung von vielen tausend Schaulustigen über die Jakobstraße zum Alten Markt marschiert. Die SA dringt auch in das Gebäude des „Reichsbanners“ neben dem Kloster unser lieben Frauen ein und schießt wild um sich.
9. März 1933
Vor den anstehenden Kommunalwahlen am 12. März nutzt die SA ihre Macht auf der Straße zu antisemitischen Gewaltakten.So attackieren sie das Warenhaus „Epa“ und das Hotel „Amsterdam“. Mit Waffen, Stühlen und Messern werden Kunden, Gäste und Angestellte in Panik versetzt.
9./10. März 1933
Die SA setzt ihre seit Jahresbeginn andauernde Hetzjagd auf Kommunisten fort.Zwei Tage vor den angesetzten Kommunalwahlen verwüsten sie iIn der Nacht das Büro der KPD in der St.-Michael-Straße.
11. März 1933
SA-Männer stürmen ein weiteres Mal das Rathaus und besetzen das Bundeshaus des “Reichsbanners”. Sie beschimpfen und misshandeln die Bürgermeister Ernst Reuter und Herbert Goldschmidt.Währen ein Polizist Reuter vor weiteren Übergriffen schützt, wird Goldschmidt auf die Straße gezerrt und gezwungen, mit Hitlergruß die Hakenkreuzfahne zu grüßen. Die SA treibt ihn anschließend zum Bundeshaus, wo sie ihn weiter schikaniert. Das Haus des “Reichsbanners” nutzt die SA unter dem Namen „Horst-Wessel-Haus“ als „wildes Konzentrationslager“. Wenig später wird das Gebäude von der Gestapo in Besitz genommen. Fortan dient das nunmehr „Braune Haus“ als Vernehmungs- und Folterzentrale für politische Gegner des Nationalsozialismus.
18. März 1933
Der Gemeindekirchenrat stellt beim Preußischen Kultusministerium den Antrag, Ernst Barlachs Magdeburger Ehrenmal aus dem Dom entfernen zu lassen.Nach Ansicht des Kirchengremiums entspricht das Kunstwerk nicht dem „Charakter eines Ehrenmals für unsere Gefallenen“ des 1. Weltkriegs. Barlachs Figurengruppe war 1927 vom Kultusministerium in Auftrag gegeben und am 24. November 1929 im Dom eingeweiht worden. Das Ehrenmal zählt zu den bedeutendsten Antikriegskunstwerken der Moderne.
21. März 1933
6.000 Angehörige von SA, SS und Stahlhelm marschieren am Abend zum Alten Markt und besetzen ein drittes Mal innerhalb weniger Tage das Rathaus.Sie ernennen den SA-Standartenführer Max Schulze zum “kommissarischen Oberbürgermeister”. Damit nutzen auch in Magdeburg die drei “nationalen” Verbände den “Tag von Potsdam” zu einer Machtdemonstration. Vor der Rathausbesetzung hatten sie sich zu mehreren Kundgebungen in der Stadt versammelt und im Dom einen Festgottesdienst abgehalten.
29. April 1933
Die ersten Häftlinge aus dem Polizeigefängnis werden wegen Überfüllung in das provisorische Schutzhaftlager („wildes KZ“) im Zollhafen verlegt.
1. April 1933
Auf dem Breiten Weg und vielen anderen Straßen verfolgen Schaulustige den Boykott jüdischer Geschäfte. SA und SS beziehen zur Abschreckung potentieller Kunden vor den Unternehmen Posten.Schilder von Arztpraxen und Anwaltskanzleien werden mit roten Zetteln beklebt, auf denen „Achtung Jude“ zu lesen ist. Zahlreiche Geschäfte wie das Kaufhaus Barasch und das Schuhaus Rheingold müssen aufgrund der Boykottaktionen schließen. Am Nachmittag hält die NSDAP zwei Massenkundgebungen ab. Auf ihnen entwirft der Parteikreisleiter Krause das Bild einer Bedrohung durch das „Weltjudentum“, der mit der „Nationalen Revolution“ geantwortet werde. Erst am 5. April wird in Magdeburg das Ende der Boykottaktionen verkündet. In den Folgejahren kommt es immer wieder zu Angriffen auf jüdische Geschäfte.
2./3. April 1933
In der Nacht dringen mehr als 60 Mitglieder des Magdeburger „SS-Sturmbann I/21“ und des „Stabs II/21“ in das Geschäftshaus der Volksstimme ein.Während der Durchsuchung werden zahlreiche Schriften und Materialien beschlagnahmt. Zwei Wochen später erfolgt eine erneute Durchsuchung, diesmal durch die Kriminalpolizei. Das Gebäude wird anschließend offiziell beschlagnahmt.
5. April 1933
Die bei der “Durchsuchung” vom 2./3. April entwendeten Scriften der Volksstimme und des sozialdemokratischen Verlagshauses Pfannkuch & Co werden von SA und SS öffentlich auf dem Domplatz verbrannt.Das Autodafé zieht zahlreiche Schaulustige an. Bereits unter dem Jubel der Umstehenden wurden die Schriften durch die Innenstadt zum Domplatz gebracht.
6. April 1933
In Puppendorf an der Berliner Chausee und im Stadion „Neue Welt“ kommt es nach einer Denunziation zu einer Großrazzia durch Schutzpolizei sowie SA- und SS-Verbänden. Gesucht wird nach angeblichen Waffenlagern der KPD. Gefunden wird jedoch nichts.
11. April 1933
Im Justizpalast an der Halberstädter Straße fällt eine Menschenmenge über jüdische Rechtsanwälte her.
24. April 1933
Nach den Kommunalwahlen vom 12. März werden auf Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ politische „Säuberungen“ vorgenommen.Der neue nationalsozialistisch und deutschnational dominierte Magistrat beschließt auf seiner Sitzung am 24. April die Entlassung des Oberbürgermeisters Reuter, des Bürgermeisters Dr. Herbert Goldtschmidt, des Stadtkämmerers Max Pulvermann, des Stadtmedizinalrats Dr. Paul Konitzer, des Stadtschulrats Dr. Gustav Robert Löscher sowie der Stadträte Wilhelm Haupt und Ernst Wittmaack. Stadtrat Dr. Arnold wird in den Ruhestand versetzt. Im Sommer wird auch Johannes Göderitz, Stadtrat für den Hochbau, entlassen. Insgesamt kommt es in Magistrat und Stadtverwaltung in den ersten Monaten der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ zur Entlassung von etwa 600 städtischen – vor allem sozialdemokratischen – Angestellten.
24. April 1933
SA und Polizei besetzen gewaltsam das „Bibelhaus“, Reichszentrale der Internationalen Bibelforschervereinigung („Zeugen Jehovas“).Auf amerikanischen Druck hin wird das Gebäude am 29. April wieder frei gegeben.
2. Mai 1933
SA-Männer und SS-Leute der Magdeburger „Standarte 21“ besetzen gewaltsam die Büros der freien Gewerkschaften.Auch das erst 1933 fertiggestellte „Haus der Gewerkschaften“ am Ratswaageplatz wird in Besitz genommen und wenig später von der DAF als „Haus der deutschen Arbeit“ wiedereröffnet.
20. Mai 1933
Der Regierungspräsident berichtet, dass im Polizeigefängnis sowie in den zwei provisorischen Schutzhaftlagern im Hof des Polizeipräsidiums und in der Polizeiturnhalle am Zollhafen 125 „Schutzhäftlinge“ seien.
30. Mai 1933
Im Stadion „Neue Welt“, bis dato Sportanlage des Reichsbanners „Schwarz-Rot-Gold“, richtet die SA ein Schutzhaftlager („wildes KZ“) ein.Am 30. Mai 1933 werden die ersten politischen Häftlinge hierher verlegt.
10. Juni 1933
Der Magdeburger Polizeichef, SA Gruppenführer Konrad Schragmüller, lässt den gewaltsam abgesetzten Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD) verhaften.Unter Bezugnahme auf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wird Reuter wenige Wochen später, am 29. Juli, endgültig aus dem Stadtdienst entlassen.
17. Juni 1933
Der Mitteldeutsche Zeitungsblock bemächtigt sich der Verlagsstätten der sozialdemokratischen Volksstimme.Fortan wird hier das Neue Magdeburger Tageblatt produziert, das ab 1935 unter dem Titel „Der Mitteldeutsche“ erscheint.
24. Juni 1933
Nach dem Verbot der SPD am 22. Juni werden mehr als 230 sozialdemokratische Funktionäre aus Magdeburg und Umgebung in „Schutzhaft“ genommen.Wie auch hunderte Kommunisten misshandeln SA und Staatspolizei die inhaftierten Sozialdemokraten in zahlreichen „wilden Konzentrationslagern“ – in Polizeikasernen, im Stadion „Neue Welt“ oder dem nahegelegenen Schloss Dornburg und im Schloss Lichtenburg bei Prettin.
28. Juni 1933
Nach dem Verbot der „Internationalen Bibelforschervereinigung“ werden dessen Bundesgebäude von der Polizei geschlossen und ihre Schriften am Stadtrand öffentlich verbrannt.Bis Ende 1933 werden die letzten Mitarbeiter der Vereinigung von der Gestapo zur Aufgabe der Gebäude gezwungen. Im April kam es zur endgültigen Auflösung der Bibelforschervereinigung. Viele ihrer Mitglieder werden verhaftet und in Konzentrationslagern interniert.