28. Februar 1940
Die Gestapo nimmt das Ehepaar Franz und Else Massors fest. Sie hätten durch das Lesen und Verbreiten verbotener Zeitschriften die “Internationale Bibelforschervereinigung” (Zeugen Jehovas) weitergeführt. Else Massors wird nach ständigen Misshandlungen am 16. Juli 1941 als haftunfähig entlassen. Franz Massors wird, 1943 aus der Haft zum Kriegsdienst eingezogen, am 9. März 1944 wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet.
23. Februar 1940
Die Stadtverwaltung verbietet allen nicht-jüdischen Schneiderinnen und Näherinnen den Verkauf von Damenunterwäsche an Jüdinnen. Jeder Kontakt mit Jüdinnen und Juden sei zu vermeiden.
2.-4. Februar 1940
Mindestens 36 Bewohner:innen des Zwangslagers für Sinti* und Roma* in Magdeburg werden durch Robert Ritter und sein “Rassenhygienische und erbbiologische Forschungsstelle” “untersucht”. Die dabei erstellten Gutachten enthalten anthropologische Daten, Fotos und „rassenbiologische“ Beurteilungen.
Hintergrund ist ein Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 8. Dezember 1938 zur “Bekämpfung der Zig.plage”. Er ordnete an, alle Sinti* und Roma* im Deutschen Reich nach rassischen Kriterien zu erfassen. Diese Aufgabe wird Ritters “Forschungsstelle” übertragen, die bis Kriegsende über 24.000 „Rassegutachten“ anfertigt. Die Gutachten bilden eine wesentliche Grundlage für die Selektion der Opfer sowie ihre Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
1. Februar 1940
Nach zwei Verhandlungstagen endet die erste Sitzung des “Sondergerichts beim Landesgericht Magdeburg” mit Todesurteilen gegen zwei Genthiner. Sie waren im Zusammenhang mit dem schweren Eisenbahnunglück von Genthin am 22. Dezember 1939 mit 278 Toten der “Leichenfledderei2 beschuldigt worden.
Die Sondergerichte dienen vor allem der Ausschaltung politischer Gegner im Rahmen der Staatsschutz- und Terrorgesetze. Sie sollen allmählich die reguläre Gerichtsbarkeit ersetzen. Das Sondergericht Magdeburg befasst sich allein 1940 mit 311 Anklagen und fällt 249 Urteile, darunter zahlreiche Todesurteile.
22. Januar 1940
Das Gesundheitsamt zeigt eine 29jährige Prostituierte als “asoziales Mädchen” beim Sittenkommissariat der Magdeburger Polizei an und veranlasst ihre Überweisung an das KZ Ravensbrück. Bei der jungen Frau handele es sich “um eine debile, völlig haltlose und willensschwache Person”. Sie sei “nicht nur sittlich minderwertig, sondern beharrlich arbeitsscheu“, so das Gesundheitsamt. Solchermaßen denunziert, verbringt die Magdeburgerin 22 Monate in KZ-Haft. Im Februar 1944 wird sie erneut festgenommen, kann aber die Haft in Ravensbrück überleben.
4. Januar 1940
Der Sozialdemokrat Ludwig Wellhausen stirbt im KZ Sachsenhausen. Er wurde im Rahmen einer Gestapo-Aktion gegen die sozialdemokratische Widerstandsgruppe um Werner Bruschke im Januar 1939 in Magdeburg verhaftet. Nach umfangreichen und quälenden Verhören war Wellhausen ohne Prozess im August 1939 in das KZ Sachsenhausen eingewiesen worden.
5. Dezember 1939
Die Jüdische Bezirksdarlehenskasse für die Region Magdeburg wird zwangsweise in die staatlich kontrollierte “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert und anschließend liquidiert. Am Ende des Jahres 1939 ist somit die Synagogen-Gemeinde die einzige verbliebene selbstständige jüdische Organisation in Magdeburg.
30. November 1939
Auf Grundlage des antiziganistischen “Erlasses gegen Wahrsagerei” verhaftet die Polizei mehrere Sintizze und überstellt sie am 7. Februar 1940 in das KZ Ravensbrück. Unter den Festgenommenen befindet sich die teilgelähmte Anna Lauenburger. Sie kommt am 14. Mai 1942 im KZ ums Leben.
25.-27. Oktober 1939
Die in Magdeburg lebenden Sinti* und Roma* werden polizeilich vorgeladen und über den “Feststellungserlass” des Reichssicherheitshauptamtes in Kenntnis gesetzt. Unter den Vorgeladenen ist auch Erna Lauenburger (genannt “Unku”). Sie muss sich und ihr Kind am 25. Oktober schriftlich verpflichten, den Wohnort im Lager nicht zu verlassen.
Der Erlass fordert die generelle Unterbringung in besonderen Sammellagern. Fortan sind fast alle Betroffenen gezwungen, im Lager am Holzweg zu leben. Bei Zuwiderhandlungen droht die Einweisung in ein Konzentrationslager. Viele der Festgesetzten sind so aufgrund des Wanderverbots der Existenzgrundlage beraubt. Insbesondere die Männer sind damit gezwungen, sich als schlecht bezahlt Hilfsarbeiter zu verdingen.
21. Oktober 1939
Nach Kriegsbeginn verschärft der NS-Staat die wirtschaftlichen und sozialen Repressionen gegen Jüdinnen und Juden. So werden am 21. Oktober 1939 wie überall in Deutschland auch in Magdeburg die Banken angewiesen, die Begleichung aller offenen Darlehen und Schulden der jüdischen Gemeinschaft einzufordern.
17. Oktober 1939
Der sog. Festsetzungserlass verbietet es allen Sinti und Roma, ihren aktuellen Wohnort zu verlassen.Vom 25. bis 27. Oktober bestellt die Polizei alle in der Stadt lebenden Angehörigen der Minderheit in das Polizeipräsidium, um sie über den Erlass zu unterrichten.
3. Oktober 1939
Die Israelitische Beerdigungsgesellschaft verliert ihre Eigenständigkeit. Ihre Aufgaben werden fortan von der “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” übernommen.
29. September 1939
Das bis dato selbstständige Israelitische Altersheim Magdeburg wird in die staatlich kontrollierte “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” eingegliedert.
10. September 1939
Nach neun Tagen im Polizeigefängnis wird der KPD-Funktionär Ernst Brandt in das KZ Buchenwald überführt. Erst im Mai 1943 wird er von dort wieder entlassen. Von März 1944 bis Kriegsende sollte er erneut in Schutz- und Untersuchungshaft genommen werden.
1. September 1939
Als am Vormittag Hermann Spier, Lehrer der Jüdischen Schule, vom Kriegsbeginn erfährt, beendet er vorzeitig den Unterricht. Vorsorglich ermahnt er die Schüler:innen, auf dem Heimweg die Seitenstraßen zu nutzen, um unnötige Aufmerksamkeit und antisemitische Übergriffe auf die Kinder zu vermeiden.
1. September 1939
Ernst Brandt, ehemaliger KPD-Stadtrat und Reichstagsabgeordneter, wird von der Gestapo in “Schutzhaft” genommen. Er war bereits von Mai 1933 bis August 1937 in verschiedenen Strafanstalten und Konzentrationslagern inhaftiert.
4. August 1939
Moritz Choinowski, in Polen gebürtiger Jude, wird in „Schutzhaft“ genommen und ab 28. September im KZ Buchenwald interniert.Er hatte vergeblich versucht, über die Grenze nach Belgien ins Exil zu gelangen. Choinowski gehörte zu jenen jüdischen Einwander*innen, die im Herbst 1938 zwangsausgebürgert worden waren, in Polen aber keine Aufnahme fanden.
12. Juli 1939
Die Jugendgruppe „Bund Neudeutschland“ der katholischen Probsteigemeinde St. Sebastian wird, ebenso wie sein Reichsverband, aufgelöst. Ihre Mitglieder um Vikar Heinrich Gatz können sich fortan nur zu losen Gesprächsrunden über rein religiöse Themen treffen.
4. Juli 1939
Die 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz stellt die bislang eigenständige “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” (bis Februar 1939 “Reichsvertretung”) unter staatliche Kontrolle. Fortan dient sie v.a. der Übermittlung repressiver Anordnungen des Reichssicherheitshauptamts und wird zu einem reinen Ausführungsorgan verdammt. Wie im gesamten Deutschen Reich werden in den Folgemonaten auch in Magdeburg alle noch eigenständigen jüdischen Organisationen in die “Reichsvereinigung” zwangseingegliedert.
1. Juli 1939
Auf Geheiß der Baupolizei werden im “Zigeunerlager” sechs Bretterbuden abgerissen. Sie hatten den hier lebenden Sinti und Roma als notdürftige Behausungen gedient. Ersatz wird zunächst nicht geschaffen. Erst im Frühjahr und Herbst 1940 wird durch die Stadtverwaltung mit zwei primitiven Baracken Ersatz geschaffen.
14. Juni 1939
Der Polizeipräsident von Magdeburg erlässt eine Verordnung, die Jüdinnen und Juden das Betreten von Theatern, Kinos, Gaststätten und Hotels verbietet.
9. Juni 1939
Die Oberfinanzdirektion Magdeburg lässt eine “Liste der wohlhabenden Juden” erstellen und ihre Vermögen erfassen. Im Fall einer erzwungenen Ausreise oder späteren Deportation aus dem Deutschen Reich soll so sichergestellt werden, dass sämtliches Vermögen der Betroffenen eingezogen werden kann.
6. Juni 1939
Nach sechs Monaten ohne ordentlichen Unterricht nimmt an der “Judenschule” wieder ein regulärer Lehrer seinen Dienst auf. Nach dem Novemberpogrom war der bisherige Lehrer in die Emigration getrieben worden.
Sommer 1939
Wie in anderen deutschen Städten werden Jüdinnen und Juden aus ihren Wohnstätten vertrieben und in sogenannte Judenhäuser einquartiert. Hier müssen sie – zumeist bis zu ihrer Deportation – auf extrem engem Raum leben. Nicht nur Verarmung, Erniedrigung und Isolation sind nunmehr auf der Tagesordnung, sondern auch der Verlust von Privatsphäre und dem Gefühl von Sicherheit. In Magdeburg gibt es mindestens neun „Judenhäuser“.
13. Mai 1939
In der Stadthalle wird die antisemitische Ausstellung “Der ewige Jude” eröffnet. Bis zum 11. Juni 1939 besuchen etwa 80.000 Menschen die diffamierende Schau. Sie bedient alle bekannten judenfeindlichen Klischees und entwirft ein wüstes Bild jüdischer Kultur in Europa. Die Ausstellung war zunächst 1937 in München zu sehen und wurde anschließend in Wien, Berlin, Bremen und Dresden gezeigt, bevor sie nach Magdeburg kam.
12. April 1939
Die 18jährige Magdeburger Sintezza Erna Lauenburger („Unku“) wird von der Kriminalpolizei vorgeladen und vernommen. Ihre Angaben werden in einer “Zigeunerpersonalakte” erfasst.
12. April 1939
Im Zuge der endgültigen Gleichschaltung im Bildungsbereich müssen die konfessionell gebundenen christlichen Schulen schließen. So stellen Ostern 1939 die Katholische Schule der St.-Marien-Gemeinde und die katholische St.-Norbert-Grundschule den Unterricht ein. Ein Jahr später findet an den öffentlichen Schulen auch kein katholischer Religionsunterricht mehr statt.
4. April 1939
Wie viele andere jüdische Geschäftsinhaber:innen müssen sich auch die Geschwister Joachim und Lilli Freiberg dem jahrelangen Druck beugen und ihr Lederwarengeschäft “Taschen-Freiberg” verkaufen. Der geplante Verkauf für 14.500 RM wird wegen der angeblichen politischen Unzuverlässigkeit des Käufers von der Stadt Magdeburg abgelehnt. Schließlich erhalten die Freibergs nach monatelangen Verhandlungen 8.500 RM für das Geschäft. Erst am 4. April 1939 genehmigt die Stadtverwaltung den Verkauf und schließt damit die erzwungene “Arisierung” ab.
27. März 1939
Der langjährige Magdeburger Rabbiner, Dr. Georg Wilde, und seine Frau Martha sind gezwungen, nach England auszuwandern. Dr. Wilde war nach dem Novemberpogrom am 10.11.1938 mit 112 weiteren Juden aus Magdeburg verhaftet und für elf Tage in das KZ Buchenwald verschleppt worden. Er musste sich nach seiner Haftentlassung bei der Gestapo verpflichten, bis zum April 1939 Deutschland zu verlassen.
24. März 1939
Das Amtsgericht Magdeburg weist das Standesamt an, allen Juden den Namen „Israel“ und allen Jüdinnnen den Namen „Sara“ im Geburtsregister hinzuzufügen. Grundlage hierfür ist ein Erlass des Reichsinnenministers.