4. August 1939
Moritz Choinowski, in Polen gebürtiger Jude, wird in „Schutzhaft“ genommen und ab 28. September im KZ Buchenwald interniert.Er hatte vergeblich versucht, über die Grenze nach Belgien ins Exil zu gelangen. Choinowski gehörte zu jenen jüdischen Einwander*innen, die im Herbst 1938 zwangsausgebürgert worden waren, in Polen aber keine Aufnahme fanden.
1. September 1939
Ernst Brandt, ehemaliger KPD-Stadtrat und Reichtagsabgeordneter, wird von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Er war bereits von Mai 1933 bis August 1937 in verschiedenen Strafanstalten und Konzentrationslagern inhaftiert.
1. September 1939
Als am Vormittag Hermann Spier, Lehrer der Magdeburger „Judenschule“, die Nachricht vom Kriegsbeginn erreicht, beendet er für diesen Tag den Unterricht.Vorsorglich ermahnt er die Schüler, auf dem Heimweg die Seitenstraßen zu nutzen. So sollten jede unerwünschte Aufmerksamkeit und mögliche antisemitische Übergriffe auf die Kinder vermieden werden.
10. September 1939
Nach neun Tagen im Polizeigefängnis wird der KPD-Funktionär Ernst Brandt in das KZ Buchenwald überführt.Erst im Mai 1943 wird er dort wieder entlassen. Von März 1944 bis Kriegsende sollte er erneut in Schutz- und Untersuchungshaft genommen werden.
29. September 1939
Das Israelitische Altersheim Magdeburg wird in die staatlich gesteuerte „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert.
3. Oktober 1939
Die Israelitische Beerdigungsgesellschaft verliert ihre Eigenständigkeit. Ihre Aufgaben werden von der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ übernommen.
17. Oktober 1939
Der sog. Festsetzungserlass verbietet es allen Sinti und Roma, ihren aktuellen Wohnort zu verlassen.Vom 25. bis 27. Oktober bestellt die Polizei alle in der Stadt lebenden Angehörigen der Minderheit in das Polizeipräsidium, um sie über den Erlass zu unterrichten.
21. Oktober 1939
Wie überall im Deutschen Reich werden auch in der Elbestadt die Banken angewiesen, alle offenen Darlehen und Schulden der jüdischen Gemeinschaft einzufordern. Nach Kriegsbeginn hatten die Nationalsozialisten die wirtschaftlichen und sozialen Repressionen gegen Juden ein weiteres Mal verschärft.
25.-27. Oktober 1939
Die in Magdeburg lebenden Sinti und Roma werden polzeilich vorgeladen und über den “Feststellungserlass” des Reichssicherheitshauptamtes in Kenntnis gesetzt.Der Erlass fordert die generelle Unterbringung der „Zigeuner“ in besonderen Sammellagern. Fortan sind fast alle Sinti und Roma der Stadt gezwungen, im Lager am Holzweg zu leben. Bei Zuwiderhandlungen droht die Einweisung in ein Konezntrationslager. Unter den Vorgeladenen ist auch die Sintezza Erna Lauenburger (“Unku”). Sie muss sich und ihr Kind am 25. Oktober schriftlich verpflichten, den Wohnort im Lager nicht zu verlassen. Viele der so festgesetzten Sinti und Roma sind so aufgrund des Wanderverbots der Existenzgrundlage beraubt. Insbesondere die Männer sind fortan gezwungen, sich als schlecht bezahlt Hilfsarbeiter zu verdingen.
30. November 1939
Auf Grundlage des „Wahrsagerinnen-Erlasses“ verhaftet die Polizei mehrere Sintezza und überstellt sie am 7. Februar 1940 in das KZ Ravensbrück.Unter den Verhafteten befindet sich die teilgelähmte Anna Lauenburger. Sie kommt am 14. Mai 1942 im KZ Ravensbrück ums Leben.
5. Dezember 1939
Die Jüdische Bezirksdarlehenskasse für die Region Magdeburg wird in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert und anschließend zwangsweise liquidiert. Am Ende des Jahres 1939 ist somit die Synagogen-Gemeinde die einzige verbliebene, in Magdeburg tätige, jüdische Organisation.
4. Januar 1940
Der Magdeburger Sozialdemokrat Ludwig Wellhausen stirbt im KZ Sachsenhausen. Er wurde im Rahmen einer Gestapo-Aktion gegen die sozialdemokratische Widerstandsgruppe um Werner Bruschke im Januar 1939 verhaftet. Nach umfangreichen und quälenden Verhören wurde Wellhausen ohne Prozess im August 1939 in das KZ Sachsenhausen eingewiesen.
22. Januar 1940
Das Gesundheitsamt zeigt eine 29jährige Prostituierte als „asoziales Mädchen“ beim Sittenkommissariat der Magdeburger Polizei an und veranlasst ihre Überweisung an das KZ Ravensbrück.Bei der jungen Frau handele es sich „um eine debile, völlig haltlose und willensschwache Person“. Sie sei „nicht nur sittlich minderwertig, sondern beharrlich arbeitsscheu“, so das Gesundheitsamt. Solchermaßen denunziert, verbringt die Magdeburgerin 22 Monate in KZ-Haft. Im Februar 1944 wird sie erneut inhaftiert, kann aber die Haft in Ravensbrück überleben.
1. Februar 1940
Nach zwei Verhandlungstagen endet die erste Sitzung des „Sondergerichts beim Landesgericht Magdeburg“ mit Todesurteilen gegen zwei Genthiner.Sie waren im Dezember 1939 im Zusammenhang mit einen Eisenbahnunglück mit 278 Toten der „Leichenfledderei“ beschuldigt worden. Die Sondergerichte dienten vor allem der Ausschaltung politischer Gegner im Rahmen der Staatsschutz- und Terrorgesetze. Sie sollten allmählich die reguläre Gerichtsbarkeit ersetzen. Das Sondergericht Magdeburg befasst sich allein 1940 mit 311 Anklagen und fällt 249 Urteil, darunter zahlreiche Todesurteile.
2.-4. Februar 1940
Mindestens 36 Bewohner des „Zigeunerlagers“ werden durch Robert Ritter und seine Mitarbeiter der „Rassenhygienischen und erbbiologischen Forschungsstelle“ „untersucht“.Die dabei erstellten Gutachten enthalten anthropologische Daten, Fotos und „rassenbiologische“ Beurteilungen. Hintergrund der Untersuchungen ist ein Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 8. Dezember 1938 zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“. Mit dem Ziel der „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“ ordnete Himmler an, alle Sinti und Roma im Deutschen Reich nach rassischen Kriterien zu erfassen. Diese Aufgabe wird Ritters „Forschungsstelle“ übertragen, die bis Kriegsende über 24.000 „Rassegutachten“ von Sinti und Roma anfertigt. Die Gutachten bilden eine wesentliche Grundlage für die Selektion der Opfer und für ihre Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
23. Februar 1940
Die Stadtverwaltung verbietet den „arischen“ Schneiderinnen und Näherinnen von Damenunterwäsche den Kontakt mit Jüdinnen. Dies betrifft auch den Verkauf solcher Waren.
28. Februar 1940
Die Gestapo nimmt das Ehepaar Franz und Else Massors fest. Sie hätten durch das Lesen und Verbreiten verbotener Zeitschriften die Internationale Bibelforschervereinigung „weitergeführt”.Franz Massors wird am 9. März 1944 wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet. Else Massor wird nach ständigen Misshandlungen am 16. Juli 1941 als haftunfähig entlassen.
31. März 1940
Bis zum Ende des ersten Quartals 1940 hat die Stadtverwaltung Magdeburg ein kommunales Sammellager für Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter aus Polen in einem alte Ziegeleigebäude an der Berliner Chaussee errichtet.
4. April 1940
Das Sittendezernat der Polizei kündigt den registrierten Prostituierten die Kasernierung im „Dirnenquartier“ an.Zugleich wird ihnen ein Merkblatt mit Anweisungen aus dem Runderlass des Reichsinnenministeriums zur „Polizeilichen Behandlung der Prostitution“ vom 9. September 1939 ausgehändigt. Die Regelungen sorgen für die Abkapselung der Prostituierten von der Gesellschaft. Fortan dürfen sie außerhalb ihrer zugelassenen Wohnungen nicht mehr ihrem Gewerbe nachgehen. Ihr Aufenthalt in der Öffentlichkeit wird zeitlich und räumlich beschränkt. Bei Zuwiderhandlungen wird den Betroffenen KZ-Haft angedroht. 21 Prostituierte entziehen sich den Zwangsmaßnahmen durch Aufgabe ihres Gewerbes und Wegzug aus der Stadt.
11. Juni 1940
Der kaufmännische Angestellte Paul Juhe erhängt sich im KZ Sachsenhausen.Er wurde zwei Tage zuvor wegen seiner Homosexualität in das Konzentrationslager eingewiesen.
12. Juni 1940
Die Gestapo nimmt Frieda Jess, Mitglied der Zeugin Jehovas, bis zum 13. April 1941 in Beugehaft und versucht sie zu Aussagen über ihren Arbeitgeber, dem Arzt Wilhelm Schumann, zu zwingen.Trotz schwerer Misshandlungen kann die Polizei keine Informationen erpressen.
23. August 1940
In einem Schreiben berichtet der Regierungspräsidenten der Provinz Sachsen, dass in Magdeburg bei verschiedenen Unternehmen insgesamt 1.435 westeuropäische Kriegsgefangene beschäftigt sind. 600 von ihnen sind in Lagern der „Arbeitsgemeinschaft Magdeburger Kriegsgefangenenlager“ untergebracht.
5. September 1940
Mitglieder des Zivilen Luftschutzes verweisen acht Prostituierte während eines Bombenangriffs aus dem Luftschutzkeller der „Füli-Lichtsspiele“.Andere Schutzsuchende hatten sich zuvor über das Verhalten einer der Prostituierten beschwert.
21. September 1940
Die Industrie- und Handelskammer teilt mit, dass in der Stadt nunmehr keine Geschäfte und Firmen von Juden ausländischer Identität betrieben werden.
24. Oktober 1940
Die Bezirksregierung erklärt den erfolgreichen Abschluss der “Entfernung” der Juden aus dem städtischen Wirtschaftsleben. Lediglich zwei Firmen wären noch zu “bearbeiten”, da ihre ehemaligen jüdischen Hauptanteilseigner nach England ausgewandert seien. Dabei handelt es sich um die Pumpenfabrik “Hannach & Co” und die Eisen- und Metallhandlung “Max Brandus GmbH”.
21. November 1940
Das Reichsinnenministerium weist das Gesuch des Spediteurs Harry König zurück, seine jüdische Verlobte Ruth Choinowski zu heiraten. Der Antrag zieht zahlreiche Repressalien wegen ihres “rassenschändlichen Verhältnisses” nach sich. Die Gestapo lädt König und Choinowski mehrfach zu Vernehmungen vor.
19. Februar – 30. Mai 1941
Mit insgesamt fünf Transporten werden 77 Männer und Frauen aus den Pfeifferschen Anstalten in die Heilanstalten Altscherbitz, Haldensleben, Uchtspringe und Schönebeck verlegt.Die Verlegung erfolgt auf Weisung des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen. Für viele Betroffene wird ihr Lebensweg durch Mord in einer „Euthanasie“-Anstalt enden.
März 1941
Eduard Rohde, Mitglied im Internationalen Sozialistischen Kampfbund, stirbt im Militärstraflager Esterwegen an Tuberkulose.Anfang 1938 war zusammen mit 19 weiteren Mitgliedern des illegalen Magdeburger Ortsvereins des ISK von der Gestapo verhaftet worden. Gerade zur Wehrmacht eingezogen, verurteilte das Reichskriegsgericht Eduard Rohde zu fünf Jahren Zuchthaus.
1. März 1941
Reichsweit werden alle Juden im Alter zwischen 15 und 65 Jahren zur Zwangsarbeit einberufen. Die ersten Zwangsrekrutierungen erfolgten bereits im Jahr zuvor. In Magdeburg müssen die meisten Juden in kriegswichtigen Betrieben arbeiten.
18. März 1941
Das Sondergericht Dresden verurteilt Frank Massors, Leiter des Untergrundwerks der Zeugen Jehovas in Mitteldeutschland, zu sechs Jahren Zuchthaus.Ihm wurde die Verbreitung illegaler religiöser Schriften zur Last gelegt. Die Strafe sollte nach Kriegsende verbüßt werden.