30. November 1939
Auf Grundlage des „Wahrsagerinnen-Erlasses“ verhaftet die Polizei mehrere Sintezza und überstellt sie am 7. Februar 1940 in das KZ Ravensbrück.Unter den Verhafteten befindet sich die teilgelähmte Anna Lauenburger. Sie kommt am 14. Mai 1942 im KZ Ravensbrück ums Leben.
5. Dezember 1939
Die Jüdische Bezirksdarlehenskasse für die Region Magdeburg wird in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert und anschließend zwangsweise liquidiert. Am Ende des Jahres 1939 ist somit die Synagogen-Gemeinde die einzige verbliebene, in Magdeburg tätige, jüdische Organisation.
4. Januar 1940
Der Magdeburger Sozialdemokrat Ludwig Wellhausen stirbt im KZ Sachsenhausen. Er wurde im Rahmen einer Gestapo-Aktion gegen die sozialdemokratische Widerstandsgruppe um Werner Bruschke im Januar 1939 verhaftet. Nach umfangreichen und quälenden Verhören wurde Wellhausen ohne Prozess im August 1939 in das KZ Sachsenhausen eingewiesen.
22. Januar 1940
Das Gesundheitsamt zeigt eine 29jährige Prostituierte als „asoziales Mädchen“ beim Sittenkommissariat der Magdeburger Polizei an und veranlasst ihre Überweisung an das KZ Ravensbrück.Bei der jungen Frau handele es sich „um eine debile, völlig haltlose und willensschwache Person“. Sie sei „nicht nur sittlich minderwertig, sondern beharrlich arbeitsscheu“, so das Gesundheitsamt. Solchermaßen denunziert, verbringt die Magdeburgerin 22 Monate in KZ-Haft. Im Februar 1944 wird sie erneut inhaftiert, kann aber die Haft in Ravensbrück überleben.
1. Februar 1940
Nach zwei Verhandlungstagen endet die erste Sitzung des „Sondergerichts beim Landesgericht Magdeburg“ mit Todesurteilen gegen zwei Genthiner.Sie waren im Dezember 1939 im Zusammenhang mit einen Eisenbahnunglück mit 278 Toten der „Leichenfledderei“ beschuldigt worden. Die Sondergerichte dienten vor allem der Ausschaltung politischer Gegner im Rahmen der Staatsschutz- und Terrorgesetze. Sie sollten allmählich die reguläre Gerichtsbarkeit ersetzen. Das Sondergericht Magdeburg befasst sich allein 1940 mit 311 Anklagen und fällt 249 Urteil, darunter zahlreiche Todesurteile.
2.-4. Februar 1940
Mindestens 36 Bewohner des „Zigeunerlagers“ werden durch Robert Ritter und seine Mitarbeiter der „Rassenhygienischen und erbbiologischen Forschungsstelle“ „untersucht“.Die dabei erstellten Gutachten enthalten anthropologische Daten, Fotos und „rassenbiologische“ Beurteilungen. Hintergrund der Untersuchungen ist ein Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 8. Dezember 1938 zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“. Mit dem Ziel der „endgültigen Lösung der Zigeunerfrage“ ordnete Himmler an, alle Sinti und Roma im Deutschen Reich nach rassischen Kriterien zu erfassen. Diese Aufgabe wird Ritters „Forschungsstelle“ übertragen, die bis Kriegsende über 24.000 „Rassegutachten“ von Sinti und Roma anfertigt. Die Gutachten bilden eine wesentliche Grundlage für die Selektion der Opfer und für ihre Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
23. Februar 1940
Die Stadtverwaltung verbietet den „arischen“ Schneiderinnen und Näherinnen von Damenunterwäsche den Kontakt mit Jüdinnen. Dies betrifft auch den Verkauf solcher Waren.
28. Februar 1940
Die Gestapo nimmt das Ehepaar Franz und Else Massors fest. Sie hätten durch das Lesen und Verbreiten verbotener Zeitschriften die Internationale Bibelforschervereinigung „weitergeführt”.Franz Massors wird am 9. März 1944 wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet. Else Massor wird nach ständigen Misshandlungen am 16. Juli 1941 als haftunfähig entlassen.
4. April 1940
Das Sittendezernat der Polizei kündigt den registrierten Prostituierten die Kasernierung im „Dirnenquartier“ an.Zugleich wird ihnen ein Merkblatt mit Anweisungen aus dem Runderlass des Reichsinnenministeriums zur „Polizeilichen Behandlung der Prostitution“ vom 9. September 1939 ausgehändigt. Die Regelungen sorgen für die Abkapselung der Prostituierten von der Gesellschaft. Fortan dürfen sie außerhalb ihrer zugelassenen Wohnungen nicht mehr ihrem Gewerbe nachgehen. Ihr Aufenthalt in der Öffentlichkeit wird zeitlich und räumlich beschränkt. Bei Zuwiderhandlungen wird den Betroffenen KZ-Haft angedroht. 21 Prostituierte entziehen sich den Zwangsmaßnahmen durch Aufgabe ihres Gewerbes und Wegzug aus der Stadt.
11. Juni 1940
Der kaufmännische Angestellte Paul Juhe erhängt sich im KZ Sachsenhausen.Er wurde zwei Tage zuvor wegen seiner Homosexualität in das Konzentrationslager eingewiesen.
12. Juni 1940
Die Gestapo nimmt Frieda Jess, Mitglied der Zeugin Jehovas, bis zum 13. April 1941 in Beugehaft und versucht sie zu Aussagen über ihren Arbeitgeber, dem Arzt Wilhelm Schumann, zu zwingen.Trotz schwerer Misshandlungen kann die Polizei keine Informationen erpressen.
5. September 1940
Mitglieder des Zivilen Luftschutzes verweisen acht Prostituierte während eines Bombenangriffs aus dem Luftschutzkeller der „Füli-Lichtsspiele“.Andere Schutzsuchende hatten sich zuvor über das Verhalten einer der Prostituierten beschwert.
21. September 1940
Die Industrie- und Handelskammer teilt mit, dass in der Stadt nunmehr keine Geschäfte und Firmen von Juden ausländischer Identität betrieben werden.
24. Oktober 1940
Die Bezirksregierung erklärt den erfolgreichen Abschluss der “Entfernung” der Juden aus dem städtischen Wirtschaftsleben. Lediglich zwei Firmen wären noch zu “bearbeiten”, da ihre ehemaligen jüdischen Hauptanteilseigner nach England ausgewandert seien. Dabei handelt es sich um die Pumpenfabrik “Hannach & Co” und die Eisen- und Metallhandlung “Max Brandus GmbH”.
21. November 1940
Das Reichsinnenministerium weist das Gesuch des Spediteurs Harry König zurück, seine jüdische Verlobte Ruth Choinowski zu heiraten. Der Antrag zieht zahlreiche Repressalien wegen ihres “rassenschändlichen Verhältnisses” nach sich. Die Gestapo lädt König und Choinowski mehrfach zu Vernehmungen vor.
19. Februar – 30. Mai 1941
Mit insgesamt fünf Transporten werden 77 Männer und Frauen aus den Pfeifferschen Anstalten in die Heilanstalten Altscherbitz, Haldensleben, Uchtspringe und Schönebeck verlegt.Die Verlegung erfolgt auf Weisung des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen. Für viele Betroffene wird ihr Lebensweg durch Mord in einer „Euthanasie“-Anstalt enden.
März 1941
Eduard Rohde, Mitglied im Internationalen Sozialistischen Kampfbund, stirbt im Militärstraflager Esterwegen an Tuberkulose.Anfang 1938 war zusammen mit 19 weiteren Mitgliedern des illegalen Magdeburger Ortsvereins des ISK von der Gestapo verhaftet worden. Gerade zur Wehrmacht eingezogen, verurteilte das Reichskriegsgericht Eduard Rohde zu fünf Jahren Zuchthaus.
1. März 1941
Reichsweit werden alle Juden im Alter zwischen 15 und 65 Jahren zur Zwangsarbeit einberufen. Die ersten Zwangsrekrutierungen erfolgten bereits im Jahr zuvor. In Magdeburg müssen die meisten Juden in kriegswichtigen Betrieben arbeiten.
18. März 1941
Das Sondergericht Dresden verurteilt Frank Massors, Leiter des Untergrundwerks der Zeugen Jehovas in Mitteldeutschland, zu sechs Jahren Zuchthaus.Ihm wurde die Verbreitung illegaler religiöser Schriften zur Last gelegt. Die Strafe sollte nach Kriegsende verbüßt werden.
2. April 1941
Die unter Depressionen leidende und zwangssterilisierte Else R. wird von der Landesheilanstalt in die „Euthanasie“-Anstalt Bernburg verlegt und ermordet.Ihrer Mutter schickt man eine gefälschte Todesurkunde, die ihren angeblichen Tod aufgrund einer Hirnschwellung am 19. April vermerkt. Else R.‘s Urne – ohne ihre Asche – wird am 12. Mai 1941 auf dem Westfriedhof beigesetzt.
8. April 1941
Einen Tag vor Ende einer zweijährigen Zuchthausstrafe wird Ernst-Günther P. in polizeiliche “Vorbeugehaft” nach Berlin überführt.Er war im Juli 1939 wegen seiner Homosexualität in Magdeburg zu einer Haftstrafe verurteilt worden, die er in den Straflagern Griebo und Esterwegen verbüßte. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Wahrscheinlich ist er in KZ-Haft ums Leben gekommen.
20. Mai 1941
Der Betriebsführer der “Sack- und Planfabrik Curt Röhrich” denunziert die zwangspflichtete Sintezza Erna Lauenburger („Unku“) bei der Kriminalpolizei.Ihr Auftreten sei von „Arbeitsunlust“ und „freches Benehmen“ geprägt. Die Polizei verwarnt Erna Lauenburger und weist sie darauf hin, dass sie ohne Änderung ihres Verhaltens mit strengen polizeilichen Maßnahmen zu rechnen habe.
2. Juli 1941
Benno Meyer, wegen seiner Homosexualität verhaftet, wird in der „Euthanasie“-Anstalt Sonnenstein bei Pirna ermordet.Der Architekt war 62jährig in das KZ Sachsenhausen eingewiesen worden. Dort erkrankt, wurde er im Juni 1941 nach Sonnenstein deportiert und dort mit Kohlenmonoxid vergast. Offiziell wurde sein Tod als Altersschwäche deklariert.
14. Juli 1941
Robert Ritter, Leiter der “rassenhygienischen Forschungsstelle” des Reichsgesundheitsamts stuft die Sintezza Erna Lauenburger („Unku“) als „Zigeunermischling“ ein.Im Rahmen der nationalsozialistischen Verfolgungspraxis gegen Sint*ezza und Rom*nja bedeutet dies eine spätere Einweisung in ein Konzentrationslager.
16. Juni 1941
Die Regierung der Provinz Sachsen verbietet den Juden per Gesetz den Besuch “deutscher Kulturveranstaltungen”.Hierzu hatte am 12. Juni die Gauleitung der NSDAP aufgefordert. Bis dahin lag es im Ermessen der Veranstalter, Juden den Zutritt zu gestatten oder nicht.
16. Juli 1941
Else Massor, im Untergrund für die Zeugen Jehovas tätig, wird nach ständigen Misshandlungen als haftunfähig entlassen.Sie war zusammen mit ihrem Ehemann Frank Massor am 28. Februar 1940 wegen der Verbreitung religiöser Schriften verhaftet worden.
8. August 1941
Die Synagogen-Gemeinde wird endgültig aus dem Vereinsregister gelöscht.Bereits am 5. Juni 1940 musste sich die Gemeinde in Jüdische Kultusvereinigung umbenennen und wurde am 27. Mai 1941 offiziell der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland angeschlossen.
9. September 1941
Das Reichspropagandaamt Magdeburg-Anhalt lobt die Provinzialregierung in Magdeburg für ihren Erfolg, Juden von allen öffentlichen Plätzen der Stadt fernzuhalten.
15. September 1941
Gemäß einer reichsweiten Verordnung müssen alle Juden ab dem 7. Lebensjahr einen gelben Davidstern sichtbar an der Kleidung tragen.Die Maßnahme besiegelt das Ende jeder Anonymität. Antisemitische Schmähungen und Misshandlungen in der Öffentlichkeit nehmen deutlich zu. Aus Angst vor Konfrontationen meiden viele Juden die Hauptverkehrsstraßen der Stadt.
23. September 1941
Der Provinzialregierung werden verschärfende Richtlinien für Bahnreisen von Juden mitgeteilt. Fortan dürfen sie nur noch in Zügen dritter Klasse reisen.Einen Sitzplatz dürfen sie nur einnehmen, wenn alle Nicht-Juden bereits einen haben. Zur Rushhour ist Juden die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel grundsätzlich verboten.