11.-18. Juni 1938
Im Rahmen der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ setzt die Magdeburger Polizei in einer zweiten Verhaftungswelle insgesamt 118 Männer, davon 21 Juden sowie mindestens 44 Sinti und Roma.Ein Großteil der Verhafteten wird in die Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen eingewiesen. Die meisten Festgenommenen kommen nie wieder in Freiheit.
25. Juli 1938
Die „Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ entzieht allen verbliebenen jüdischen Ärzten ihre Zulassung. Bis Ende Oktober 1938 müssen in Magdeburg 25 Praxen schließen.
26. August 1938
Wegen angeblicher „Rassenschande“ in zwei Fällen wird der jüdische Arzt Dr. Erich Böhm verurteilt. Das Gericht spricht ihn wegen einer Beziehung zu einer „Arierin“ – zugleich Hauptzeugin im Prozess – schuldig. Der Fall zeigt, wie gefährlich mittlerweile der Kontakt von Juden zu Nichtjuden geworden ist.
30. August 1938
Bereits ein Monat vor Inkrafttreten wird in Magdeburg ein Erlass umgesetzt, der allen Juden im Deutschen Reich jegliche Geschäftsreise oder die Vertretung einer Firma verbietet. Mit dem Erlass werden die letzten noch geduldeten jüdischen Unternehmungen – z.B. Ausnahmeregelungen für Kriegsveteranen – unmöglich gemacht. Bis dato kamen die Ausnahmen von der antisemitischen Gesetzgebung vor allem den freien Berufen zugute.
3. September 1938
Auf Grundlage eines reichsweiten Dekrets vom 25. Juli 1938 beginnt in Magdeburg die Auflösung der „staatszionistischen“ Organisationen.Zu ihnen zählen die Ortsgruppen der Zionistischen Vereinigung für Deutschland und des Palästina-Amtes sowie mehrere Jugendgruppen. Als „Volks- und Staatsfeinden“ wird ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt.
24. Oktober 1938
Den letzten fünf noch tätigen jüdischen Anwälten in Magdeburg wird auf Grundlage der „Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Zulassung zum 1. Dezember 1938 entzogen.Im April 1933 hatte es 27 niedergelassene Anwälte jüdischen Glaubens in Magdeburg gegeben. Ein Jahr später waren nur noch 13 eingetragen und von diesen im Gefolge der Nürnberger Gesetzte nur noch fünf beim Landgericht zugelassen.
27.-29. Oktober 1938
Im Rahmen der „Polenaktion“ werden mindestens 135 Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit (davon 74 aus Magdeburg) verhaftet und ausgewiesen. Insgesamt müssen 17.000 Menschen Deutschland verlassen. Sie werden aus ihren Wohnungen geholt, zu Sammelstellen getrieben und schließlich über die polnische Grenze abgeschoben.
9./10. November 1938
Im Rahmen der reichsweiten Pogrome werden mindestens 30 Geschäfte sowie mehrere Arztpraxen und Wohnungen von Juden in der Nacht und im Laufe des 10. Novembers verwüstet.Der Innenraum der Synagoge wird von der SA mit Sprengstoff zerstört. Unterlagen der jüdischen Gemeinde und religiöse Kultgegenstände werden auf dem Hof der Synagoge verbrannt. Gestapo, SS und SA drangsalieren und misshandeln jüdische Bürger. 120 Männer werden verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt. Das Pogrom bildet den brutalen Schlusspunkt für das öffentliche jüdische Leben in Magdeburg sowie den Auftakt zur Ghettoisierung. Die Nationalsozialisten hatten das tödliche Attentat auf den Sekretär der Deutschen Botschaft in Paris, Ernst von Rath, zum Anlass genommen, um in ganz Deutschland und Österreich die gewalttätigsten Pogrome gegen die Juden seit dem Mittelalter zu entfesseln. In Magdeburg hetzte NSDAP-Kreisleiter Rudolf Krause am Abend des 9. November SA-, SS- und Parteiangehörige zu den antisemitischen Ausschreitungen auf.
10. November 1938
In einem Prozess vor dem Volksgerichtshof werden die 20 Magdeburger Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes wegen ihrer antifaschistischen Aktivitäten zu Zuchthausstrafen verurteilt.Zwei Gruppenmitglieder überlebten die Haft nicht. Die ISK-Gruppe war um den Jahreswechsel von der Gestapo zerschlagen worden.
15. November 1938
Auf Grundlage eines Erlasses des Reichsministeriums für Erziehung werden endgültig alle jüdischen Schüler vom Besuch der öffentlichen Schulen ausgeschlossen.
1. Dezember 1938
Das Finanzministerium in Magdeburg fordert bis zum 22. Dezember detaillierte Statistiken über jüdische Vermögenswerte. Auf dieser Basis werden die zu zahlenden Beträge von Juden im Regierungsbezirk Magdeburg als „Buße“ für das Pogrom vom 9. und 10. November festgesetzt. Dies und andere Maßnahmen drängen Juden endgültig aus dem Wirtschaftsleben.
5. Dezember 1938
In einem Schauprozess verurteilt der Volksgerichtshof den Reichschulungsleiter des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes, Julius Phillipson, wegen „Hochverrats“ zu einer lebenslangen Haftstrafe.Dem im August 1937 Verhafteten wird als Jude die „Verführung“ der „arischen“ ISK-Mitglieder vorgeworfen. Phillipson wird im Zuge der „Säuberung“ von Haftanstalten nach Auschwitz deportiert, wo er 1943 ums Leben kommt.
7. Dezember 1938
Nach dem Pogrom vom 9. und 10. November emigrieren die zwei Lehrer der im Sommer eingerichteten „Judenschule“ mit ihren Familien. Ein Unterricht ist seitdem nicht mehr möglich und wird am 7. Dezember von der Stadtverwaltung offiziell ausgesetzt. Eine zumindest rudimentäre Beschulung sollte erst wieder zu Beginn 1939 auf der Tagesordnung stehen.
3. Januar 1939
Das bereits 1936 zwangsweise veräußerte Kaufhaus Barasch wird endgültig aus dem Handelsregister gelöscht. Damit ist die „Arisierung“ des beliebten Kaufhauses formal abgeschlossen.
12. Januar 1939
Die Gestapo verhaftet 20 Mitglieder Magdeburger SPD-Widerstandsgruppen, unter ihnen Ernst Lehmann, Werner Bruscke und Ludwig Wellhausen. Mit Ausnahme der drei Hauptverdächtigen werden alle nach langen Verhören wieder entlassen. Wellhausen wird im August 1939 ohne Prozess im KZ Sachsenhausen interniert, wo er wenig später ums Leben kommt. Bruschke und Lehmann verbringen mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft und werden wegen Verstoßes gegen das Parteienverbotsgesetz zu 12 bzw. 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe ist durch die Untersuchungshaft abgebüßt, jedoch werden beide noch im Gerichtssaal von der Gestapo in „Sicherheitsverwahrung“ genommen. Bruschke wird KZ Sachsenhausen und später im KZ Dachau interniert, Lehmann im KZ Neuengamme.
19. Januar 1939
Der Ortsverband des Hilfsvereins der Juden in Deutschland wird zwangsweise aufgelöst und aus dem Vereinsregister gelöscht. Die Maßnahme ist Teil der verschärften antisemitischen Gesetzgebung nach dem Novemberpogrom von 1938. Nachdem jüdische Bürger:innen bereits weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen sind, erfolgen nun verstärkt wirtschaftliche Repressalien und die Aufhebung der innerjüdischen organisatorischen Eigenständigkeit.
21. Februar 1939
Ab dem heutigen Tag müssen Jüdinnen und Juden binnen zwei Wochen alle persönlichen Wertgegenstände, die Edelmetalle, Edelsteine und Perlen enthalten, stark unter Wert in extra eingerichteten kommunalen “Ankaufstellen” veräußern. Die antisemitische Maßnahme ist Teil der zahlreichen Richtlinien zur Einschränkung und Konfiszierung von jüdischem Vermögen, die nach dem Novemberpogrom von der deutschen Regierung erlassen worden sind.
24. März 1939
Das Amtsgericht Magdeburg weist das Standesamt an, allen Juden den Namen „Israel“ und allen Jüdinnnen den Namen „Sara“ im Geburtsregister hinzuzufügen. Grundlage hierfür ist ein Erlass des Reichsinnenministers.
27. März 1939
Der langjährige Magdeburger Rabbiner, Dr. Georg Wilde, und seine Frau Martha sind gezwungen, nach England auszuwandern. Dr. Wilde war nach dem Novemberpogrom am 10.11.1938 mit 112 weiteren Juden aus Magdeburg verhaftet und für elf Tage in das KZ Buchenwald verschleppt worden. Er musste sich nach seiner Haftentlassung bei der Gestapo verpflichten, bis zum April 1939 Deutschland zu verlassen.
4. April 1939
Wie viele andere jüdische Geschäftsinhaber:innen müssen sich auch die Geschwister Joachim und Lilli Freiberg dem jahrelangen Druck beugen und ihr Lederwarengeschäft “Taschen-Freiberg” verkaufen. Der geplante Verkauf für 14.500 RM wird wegen der angeblichen politischen Unzuverlässigkeit des Käufers von der Stadt Magdeburg abgelehnt. Schließlich erhalten die Freibergs nach monatelangen Verhandlungen 8.500 RM für das Geschäft. Erst am 4. April 1939 genehmigt die Stadtverwaltung den Verkauf und schließt damit die erzwungene “Arisierung” ab.
12. April 1939
Im Zuge der endgültigen Gleichschaltung im Bildungsbereich müssen die konfessionell gebundenen christlichen Schulen schließen. So stellen Ostern 1939 die Katholische Schule der St.-Marien-Gemeinde und die katholische St.-Norbert-Grundschule den Unterricht ein. Ein Jahr später findet an den öffentlichen Schulen auch kein katholischer Religionsunterricht mehr statt.
12. April 1939
Die 18jährige Magdeburger Sintezza Erna Lauenburger („Unku“) wird von der Kriminalpolizei vorgeladen und vernommen. Ihre Angaben werden in einer “Zigeunerpersonalakte” erfasst.
13. Mai 1939
In der Stadthalle wird die antisemitische Ausstellung “Der ewige Jude” eröffnet. Bis zum 11. Juni 1939 besuchen etwa 80.000 Menschen die diffamierende Schau. Sie bedient alle bekannten judenfeindlichen Klischees und entwirft ein wüstes Bild jüdischer Kultur in Europa. Die Ausstellung war zunächst 1937 in München zu sehen und wurde anschließend in Wien, Berlin, Bremen und Dresden gezeigt, bevor sie nach Magdeburg kam.
Sommer 1939
Wie in anderen deutschen Städten werden Jüdinnen und Juden aus ihren Wohnstätten vertrieben und in sogenannte Judenhäuser einquartiert. Hier müssen sie – zumeist bis zu ihrer Deportation – auf extrem engem Raum leben. Nicht nur Verarmung, Erniedrigung und Isolation sind nunmehr auf der Tagesordnung, sondern auch der Verlust von Privatsphäre und dem Gefühl von Sicherheit. In Magdeburg gibt es mindestens neun „Judenhäuser“.
6. Juni 1939
Nach sechs Monaten ohne ordentlichen Unterricht nimmt an der “Judenschule” wieder ein regulärer Lehrer seinen Dienst auf. Nach dem Novemberpogrom war der bisherige Lehrer in die Emigration getrieben worden.
9. Juni 1939
Die Oberfinanzdirektion Magdeburg lässt eine “Liste der wohlhabenden Juden” erstellen und ihre Vermögen erfassen. Im Fall einer erzwungenen Ausreise oder späteren Deportation aus dem Deutschen Reich soll so sichergestellt werden, dass sämtliches Vermögen der Betroffenen eingezogen werden kann.
14. Juni 1939
Der Polizeipräsident von Magdeburg erlässt eine Verordnung, die Jüdinnen und Juden das Betreten von Theatern, Kinos, Gaststätten und Hotels verbietet.
1. Juli 1939
Auf Geheiß der Baupolizei werden im “Zigeunerlager” sechs Bretterbuden abgerissen. Sie hatten den hier lebenden Sinti und Roma als notdürftige Behausungen gedient. Ersatz wird zunächst nicht geschaffen. Erst im Frühjahr und Herbst 1940 wird durch die Stadtverwaltung mit zwei primitiven Baracken Ersatz geschaffen.
4. Juli 1939
Die 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz stellt die bislang eigenständige “Reichsvereinigung der Juden in Deutschland” (bis Februar 1939 “Reichsvertretung”) unter staatliche Kontrolle. Fortan dient sie v.a. der Übermittlung repressiver Anordnungen des Reichssicherheitshauptamts und wird zu einem reinen Ausführungsorgan verdammt. Wie im gesamten Deutschen Reich werden in den Folgemonaten auch in Magdeburg alle noch eigenständigen jüdischen Organisationen in die “Reichsvereinigung” zwangseingegliedert.
12. Juli 1939
Die Jugendgruppe „Bund Neudeutschland“ der katholischen Probsteigemeinde St. Sebastian wird, ebenso wie sein Reichsverband, aufgelöst. Ihre Mitglieder um Vikar Heinrich Gatz können sich fortan nur zu losen Gesprächsrunden über rein religiöse Themen treffen.