1. Mai 1935
Die Stadtverwaltung richtet am Nordrand der Stadt ein “Zigeunerlager” ein. Alle Sinti:zze und Rom:nja der Stadt, die bisher auf anderen Plätzen lebten, müssen hierher umziehen. Nach und nach werden auch diejenigen zwangsumgesiedelt, die bisher in Mietwohnungen gelebt haben.
6. Mai 1935
Die Magdeburger NSDAP-Führung erinnert in einem Rundschreiben die Parteimitglieder daran, jeglichen “persönlicher Kontakt” mit Jüdinnen und Juden zu vermeiden sei. Zuvor hatte das örtliche Polizeipräsidium erfahren, dass nicht-jüdische Anwälte – unter ihnen auch NSDAP-Mitglieder – jüdische Mandant:innen vertraten. Das Rundschreiben enthält daher auch den Hinweis auf die Zusammenstellung einer polizeilichen Liste betroffener Anwälte, um ggf. Disziplinarmaßnahmen ergreifen zu können.
6. Mai 1935
Laut eines Lageberichts der Staatspolizeistelle Magdeburg wird im April 1935 eine Frau verhaftet. Sie habe in der Öffentlichkeit “Rot Front!” gerufen.
6. Mai 1935
Wegen Herstellung und Verbreitung illegaler Druckschriften der verbotenen Wachturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft werden, so berichtet die Staatspolizeistelle, im April 1935 drei Angehörige der Zeugen Jehovas festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, “nach Art der Kommunisten die vervielfältigte Druckschrift ‘Jehovas Schlacht’ von Mann zu Mann weitergegeben” zu haben.
10. Juni 1935
Acht Tage vor Beginn wird der Schauprozess gegen den Schulleiter Albert Hirschland auf Plakatwänden, in Straßenbahnen und an weiteren Orten der Stadt reißerisch angekündigt. Auf antisemitischen Demonstrationen hetzen Mitarbeiter des “Stürmers” über das “wahre Gesicht der Juden”.
18. Juni 1935
Vor dem Landgericht beginnt der Prozess gegen Albert Hirschland. Das Verfahren ist der erste antisemitische Schauprozess in Magdeburg und erregt reichsweit Aufmerksamkeit. Dementsprechend groß ist die mediale Berichterstattung. Der Prozess selbst findet in geschlossener Verhandlung statt. Nur führende Nationalsozialisten, ausgewählte Fotografen und die unmittelbar Beteiligten sind anwesend.
19. Juni 1935
Nach zweitägigen Verhandlungen wird Albert Hirschland zu zehn Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Der ehemalige Schulleiter sei ein “gefährlicher Gewohnheitsverbrecher” und wird illegaler sexueller Handlungen mit Schülerinnen für schuldig befunden.
28. Juni 1935
Die Polizei veranlasst die Schließung der “Obstweinschänke”, einem beliebten Treff Homosexueller in Magdeburg.
1. Juli 1935
Das Kammergericht Berlin verurteilt den Magdeburger Widerstandskämpfer Hermann Thor wegen “Vorbereitung zum Hochverrat” zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren. Er soll als Unterbezirksleiter für Magdeburg-Anhalt die Parteiarbeit für die verbotene KPD fortgesetzt haben. Thor wird nach Verbüßung der Haftstrafe in das KZ Sachsenhausen überführt.
1. Juli 1935
Das Berliner Kammergericht verurteilt Marie Kühne aus der Alten Neustadt zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus. Sie war am 24. Juni 1934 zusammen mit ihrem Mann Willi Kühne wegen Tätigkeit im kommunistischen Widerstand verhaftet worden. Willi Kühne wird zu einer 18monatigen Freiheitsstrafe verurteilt.
5. Juli 1935
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg verschickt Fragebögen zur Erfassung sämtlicher jüdischer Berufsumschulungslager. Auf deren Grundlage wird die polizeiliche Kontrolle jüdischer Organisationen verschärft. Unter anderem soll damit sichergestellt werden, dass sämtliche Aktivitäten der Vorbereitung einer möglichen Auswanderung dienen.
10. Juli 1935
Der Regierungspräsident der Preußischen Provinz Sachsen verfügt die Beschlagnahme des Vermögens der Wachturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft und untersagt den weiteren Druck von Bibeln für die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.
19. Juli 1935
Die Mitgliederversammlung der Magdeburger Freimauer beschließt die Auflösung der Loge “Ferdinand zur Glückseligkeit”. Der Auflösung war ein monatelanger Verfolgungsdruck durch den nationalsozialistischen Staat vorausgegangen. Ihr repräsentatives Logengebäude war bereits 1934 von der Stadtbibliothek in Besitz genommen worden.
Ebenfalls im Juli 1935 erfolgt die Selbstauflösung der Magdeburger Ortsgruppen der Logen “Gustav Adolf zur Gerechtigkeit”, “Harpokrates”, “Fides Coronata”, “Hohenzollern treu und beständig”, “Zum Dom an der Elbe” sowie das Provinzialordenskapitel “Prudenzia”.
25. Juli 1935
Die NSDAP schaltet landesweit Anzeigen, in denen sie eine Sonderausgabe des “Stürmers” zum Schauprozess gegen Albert Hirschland ankündigt.
25. Juli 1935
Der Volksgerichtshof verurteilt die kommunistische Widerstandskämpferin Eva Lippold zu neun Jahren Zuchthaus. Die Hälfte ihrer Strafe muss sie in Einzelhaft verbringen. Die spätere Lebensgefährtin von Hermann Danz war zunächst in Magdeburg und dann in Berlin für die Rote Hilfe aktiv.
27. Juli 1935
Im Umfeld der Schauprozesse wegen “Sittlichkeitsvergehen” geraten auch Homosexuelle ins Visier der Gestapo. Die Polizei verhaftet zehn Magdeburger wegen des Verstoßes gegen §175 StGB. Die Männer sind ehemalige Mitglieder des Bundes für Menschenrechte. Die Homosexuellen-Organisation hatte sich regelmäßig in der Gaststätte “Deutsches Haus” getroffen und war 1933 verboten worden.
1. August 1935
Das antisemitische Hetzblatt “Der Stürmer” veröffentlicht eine Sonderausgabe zum Schauprozess gegen Albert Hirschland. Die 16seitige Schrift erscheint deutschlandweit und intensiviert die seit Wochen andauernde Propaganda gegen den jüdischen Schulleiter.
2. August 1935
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg erlässt eine Verordnung, nach der ausgewanderte Jüdinnen und Juden, die in die Stadt zurückkehren wollen, abzuweisen sind.
5. August 1935
Die Staatspolizeistelle Magdeburg listet für den Juli 1935 33 Verhaftungen im Regierungsbezirk Magdeburg auf, davon vier wegen “Beleidigung von Regierungsmitgliedern”, zehn wegen “kommunistischer Umtriebe” und sechs wegen der religiösen Tätigkeit für die Zeugen Jehovas.
20. August 1935
Die Staatspolizei löst den Jüdischen Turn- und Sportverein Bar Kochba auf. Der Verein als Mitglied des internationalen Sportverbands Makkabi war seit 1923 unter der Leitung von Joachim Freiberg für die städtische jüdische Gemeinschaft tätig. Hintergrund der Zwangsauflösung ist eine Anordnung, alle jüdischen Organisationen zu verbieten, die nicht Mitglied des staatlich kontrollierten Reichsverbandes jüdischer Kulturbünde sind. Ausgenommen hiervon sind Schulen und Religionsgemeinschaften.
20. August 1935
In der Nacht zum 21. August 1935 verkleben Mitglieder des kommunistischen Widerstands in fast allen Stadtteilen Zettel mit Parolen gegen die NS-Regierung und mit einem Aufruf zur Einheitsfront. Dabei werden zwei Personen festgenommen und deren Wohnungen durchsucht.
Die Gestapo berichtet von 24 weiteren Festnahmen im Monat August in Magdeburg – überwiegend wegen “beleidigender Äußerungen gegen die Regierung”.
21. August 1935
Die Staatspolizei weist an, dass Jüdinnen und Juden keinerlei Auskünfte mehr zu geschäftlichen Aktivitäten von Nichtjüdinnen und – juden erhalten sollen.
21. August 1935
Die Pressehetze gegen Albert Hirschland motiviert zahlreiche Institutionen zu antisemitischen Aktionen. Die Straßenbahndirektion lässt in ihren Bahnen Schilder mit der Aufschrift “Juden sind hier unerwünscht” anbringen. Und die Magdeburger Schlosserinnung veröffentlicht eine Erklärung gegen Jüdinnen und Juden.
23. August 1935
Julius Streicher, Herausgeber des “Stürmers”, hält anlässlich des Schauprozesses gegen Albert Hirschland eine antisemitische Massenveranstaltung in der Stadthalle ab. In einer mehrstündigen Rede fordert er scharfe Maßnahmen gegen Jüdinnen und Juden. Begleitend zur Kundgebung verkünden im gesamten Stadtgebiet Transparente das “Stürmer”-Credo “Die Juden sind unser Unglück”. Vor Geschäften rufen Plakate zum Boykott jüdischer Geschäftsleute auf.
23. August 1935
Die antisemtische Hetzkampagne anlässlich des Prozesses gegen Albert Hirschland zeigt Wirkung: Vor jüdischen Geschäften kommt es zu gewalttätigen Zusammenrottungen. Kund:innen werden beschimpft und fotografiert.
24. August 1935
Die Kaufhäuser Barasch und Salberg werden zum Hauptziel des antisemitischen Mobs. Kund:innen werden bespuckt und geschlagen. Einige Tausend Demonstrant:innen blockieren die Eingänge zu den von Juden geführten Geschäften. Die Polizei erzwingt schließlich die vorübergehende Schließung der Kaufhäuser. Ihre Angestellten müssen durch die Hinterausgänge vor den gewalttätigen Massen fliehen.
2. September 1935
Die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Magdeburg verfügt die Anlegung einer Kartei sämtlicher Jüdinnen und Juden sowie jüdischer Organisationen. Vierteljährlich aktualisiert, dokumentiert die Liste in dreifacher Ausfertigung auch Abgänge durch Umzug, Tod oder Auswanderung.
3. September 1935
Die Gestapo nimmt das KPD-Mitglied Karl Wagner fest. Zuvor hatte die Stapostelle Berlin den dortigen Parteiapparat unterwandert und Verbindungen nach Magdeburg aufgedeckt. Die Aktion ist Teil einer Verhaftungswelle gegen 150 KPD-Funktionär:innen im Regierungsbezirk Magdeburg. Der Polizeieinsatz zwischen September 1935 und Mai 1936 zerschlägt für mehr als sieben Jahre den organisierten Widerstand der KPD in der Region.
6. September 1935
Die Gestapo Magdeburg verhaftet Gerhard Holzer, Leiter des Betriebsberichterstatter-Apparats der KPD in Magdeburg. Der gelernte Former initiierte den Aufbau von KPD-Betriebszellen im Untergrund und lieferte den Parteigremien Informationen aus der Magdeburger Rüstungsindustrie.
8. September 1935
Die Staatspolizeistelle verbietet allen Jüdinnen und Juden den Besuch des Stadtarchivs, der Bibliotheken und der Buchläden. Auch die städtischen Bäder sollen sie nicht betreten.