21. September 1935
Die Bezirksregierung Magdeburg verschickt an die Stadtverwaltung Fragebögen zur “Rassenzugehörigkeit” aller Schüler:innen. Die ausgefüllten Bögen sind bis zum 1. November zurückzuschicken. Hintergrund war das Bemühen, jüdische Schüler:innen vom Besuch staatlicher Schulen auszuschließen.
24. September 1935
Bei einer Boykottaktion gegen jüdische Käufer:innen werden in den Geschäften eigens von der NSDAP gefertigte Schilder mit der Aufschrift “Juden sind hier unerwünscht!” aufgehängt. Die von der Partei zur Verfügung gestellten Hetzschilder sollen dem Boykott Einheitlichkeit geben und den “Gemeinschaftssinn” stärken.
4. Oktober 1935
Alle Beamten im Gau Magdeburg-Anhalt werden angewiesen, keinesfalls in “nicht-arischen” Einrichtungen einzukaufen.
5. Oktober 1935
Die Stapostelle Magdeburg berichtet von der Verhaftung von insgesamt 19 Personen im September 1935 im Stadtgebiet. Hintergrund ist in den meisten Fällen “mündliche kommunistische Propaganda“”.
8. Oktober 1935
Wenige Wochen nach Verkündigung der “Nürnberger Gesetze” verschickt die Bezirksregierung an ihre Behörden einen “Fragebogen zum Nachweis der arischen Abstammung”. Der fünfseitige Bogen muss von allen Angestellten in zweifacher Ausfertigung ausgefüllt zurückgegeben werden. Bis zum 25. November müssen zudem die eigenen Geburtsurkunden sowie die der Eltern und Großeltern zur Überprüfung eingereicht werden.
Die Abstammungsüberprüfungen führen zur Empfehlung der Schulbehörde, vier städtische Lehrer:innen „jüdischer Abstammung“ aus dem Schuldienst zu entlassen.
12. Oktober 1935
Nach wochenlanger Beobachtung nimmt die Gestapo vier Personen wegen “Vorbereitung zum Hochverrat” fest. Die Beschuldigten hatten sich zusammengefunden, um sich kommunistische Druckschriften zu beschaffen und gemeinsam zu lesen. Drei Tage später werden wegen des gleichen Vorwurfs vier weitere Personen festgenommen.
16. Oktober 1935
Die Bezirksregierung weist alle Geldinstitute und die städtische Feuerwehr an, jüdische Angestellte zu suspendieren.
20. Oktober 1935
Studienrat Hans Rothenberg, Lehrer an der Lessing-Schule, wird als Jude mit sofortiger Wirkung suspendiert.
29. Oktober 1935
Die Gestapo nimmt den Diözesanleiter des Katholischen Jungmännerverbandes Paderborn-Ost, Max Meinner, wegen “staatsfeindlicher Äußerungen” fest. Meinner hatte kirchenöffentlich mehrfach die Verfolgung der katholischen Kirche kritisiert und die “Sittenverderbnis” der Hitlerjugend gebrandmarkt.
4. November 1935
Maria Gottschalk, Lehrerin am privaten Elisabeth-Rosenthal-Gymnasium wird als Jüdin aus dem Schuldienst entlassen.
11. November 1935
Mehrere Anzeigen bei der Polizei beklagen, dass es noch immer jüdische Händler:innen gebe, die „arische“ Firmen vertreten. Die Polizei wird gebeten dagegen vorzugehen. Ebenso werden Bauern angezeigt, die Geschäfte mit jüdischen Viehhändler:innen betreiben würden. Hintergrund ist eine Anordnung des Reichswirtschaftsministers vom 25. September, “nicht-arische” Händler:innen von sämtlichen Märkten auszuschließen.
28. November 1935
Ein Händler fordert mit einer Anzeige, Jüdinnen und Juden aus dem Viehhandel zu drängen und eine öffentliche Empörung gegen jüdische “Preistreiberei” zu schüren. Das unterstellte jüdische Handelsmonopol führe zu “Unzufriedenheit und Unruhen in der örtlichen Bevölkerung”.
2. Dezember 1935
Der Polizeipräsident verfügt, dass Jüdinnen und Juden nur dann Milch zu verkaufen sei, wenn diese ein “akzeptables Äußeres” und ein “unscheinbares Auftreten” hätten.
2. Dezember 1935
Die Gestapo untersagt grundsätzlich alle jüdischen Veranstaltungen an christlichen Feiertagen und Sonntagen. Grund hierfür seien eingeschränkte Überwachungsmöglichkeiten an diesen Tagen.
9. Dezember 1935
Die Staatspolizeistelle untersagt öffentliche Werbekampagnen für die Jüdische Winterhilfe. Verstöße seien zu melden und anzuzeigen.
12. Dezember 1935
Die Staatspolizeistelle verfügt die vorläufige Schließung des Kaufhauses Barasch. Dem Besitzer wird mitgeteilt, dass das Geschäft erst wieder am 14. Dezember nach Austausch aller leitenden Angestellten durch “arisches” Personal öffnen könne. Zuvor hatte ein Informant männliche Angestellte denunziert, “ernst zu nehmende Sittlichkeitsvergehen” gegen weibliche Angestellte begangen zu haben.
14. Dezember 1935
Sechs leitende jüdische Angestellte des Kaufhauses Barasch werden in Gewahrsam genommen. Um das Geschäft wieder öffnen zu können, stellt der jüdische Besitzer, Hermann Broder, an ihrer statt “arische” Fachkräfte ein. Die Kampagne gegen das Kaufhaus veranlasst zahlreiche weitere jüdische Mitarbeiter:innen zu kündigen. So unter Druck gesetzt, prüft Broder den Verkauf seines Unternehmens.
16. Januar 1936
Die Staatspolizei für den Regierungsbezirk Magdeburg verbietet Juden das Tragen von Abzeichen des Reichs-Sportbundes.Dies betrifft sowohl die Senioren- als auch die Jugendabteilungen. Die Gruppenführer der Jugendabteilungen sollen zudem die „arische Abstammung“ ihrer Mitglieder sicherstellen. Zahlreiche jüdische Jugendliche werden daraufhin aus den nicht-jüdischen Sportvereinen ausgeschlossen.
24. Februar 1936
Julius Fischel, Isidor Gans und August Oehm – leitende jüdische Angestellte des Kaufhauses Barasch – werden wegen “Rassenschande” zu Gefängnisstrafen verurteilt.Ihnen werden Beziehungen zu nicht-jüdischen Angestellten zur Last gelegt. Bereits im Dezember 1935 wurden sie deshalb auf polizeilichen Druck hin entlassen. Vor dem Hintergrund einer öffentlichen Kampagne gegen die jüdische Belegschaft des Kaufhauses reichen in den folgenden Wochen zahlreiche Mitarbeiter ihre Kündigung ein.
27.-29. Februar 1936
Die Staatspolizeistelle Magdeburg nimmt 24 Funktionäre der illegalen KPD fest.Unter den Inhaftierten befinden sich Jakob Westermann (Stadtteilleiter in Sudenburg und zeitweise Politischer Leiter der Partei für den Bezirk Magdeburg-Anhalt), Louis Koch (Altstadt), Emanuel Larisch (Buckau), Gustav Hamel (Leiter der Roten Hilfe in Buckau), Wilhelm Kutz (Techniker der Bezirksleitung) sowie Friedrich Wagner und Otto Werner Kessler (Kassierer der Bezirksleitung). Verhaftet werden auch Funktionäre aus dem Kommunistischen Jugendverband und der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit. Mit den Festnahmen gelang es der Gestapo, den organisierten Widerstand der KPD im Bezirk Magdeburg-Anhalt zu zerschlagen.
3. März 1936
Wegen seiner Tätigkeit im antifaschistischen Widerstand wird der 1909 geborene Dreher Otto Lorenz in “Schutzhaft” genommen. Er habe sich für die “illegale K.P.D. betätigt” und “die öffentliche Sicherheit und Ordnung” gestört.
12. März 1936
Alle Versammlungen der noch zugelassenen jüdischen Organisationen werden bis zur Reichstagswahl am 29. März verboten. So soll jede jüdische politische Tätigkeit unterbunden werden.
20. März 1936
Vor dem Hintergrund der antisemitischen Kampagne gegen das Kaufhaus Barasch muss dessen Inhaber, Hermann Broder, das Unternehmen an den “arischen” Kaufmann Willibald Lemke verkaufen.Broder sah sich der Kampagne schutzlos ausgeliefert und war besorgt – analog zu seinen leitenden Angestellten – ebenfalls bezichtigt zu werden, sexuelle Beziehungen zu “Ariern” zu haben.
4. April 1936
Die preußische Staatspolizei verbietet auf allen jüdischen Versammlungen den Gebrauch der hebräischen Sprache. Zuvor hatte es Beschwerden gegeben, dass auf öffentlichen Versammlungen „immer noch“ hebräisch gesprochen würde und dies die polizeiliche Überwachung verhindere.
22. April 1936
Die Regierung der Provinz Sachsen verfügt, dass alle antisemitischen Schilder in Beschriftung und Form der von der NSDAP angeordneten einheitlichen Beschilderung folgen müssen.Dies sei mit Blick auf ausländische Besucher von großer Bedeutung.
24. April 1936
Der Oberpräsident der Provinz Sachsen und der preußische Wirtschaftsminister weisen an, sämtliche jüdischen Handelsvertreter durch “arische” Beauftragte zu ersetzen.
30. April 1936
Die Provinzialregierung fordert alle Regierungsstellen auf, für eine sprachlich einheitliche antisemitische Beschilderung zu sorgen.Man wolle die Bevölkerung über jüdische „Verbrechen“ informieren und nicht, wie in Magdeburg, besonders “gehässig” gegenüber Juden sein.
23. Mai 1936
Die Staatspolizei Magdeburg erlässt ein zweimonatiges Verbot des Rings “Bund Jüdischer Jugend”.
24. Juli 1936
Im Rahmen einer gezielten Aktion gegen die Zeugen Jehovas werden 16 Mitglieder der verbotenen Glaubensgemeinschaft verhaftet. Bis Ende des Jahres kommen weitere 40 Angehörige hinzu.
30. Juli 1936
Polizeipräsident Thule von Klinckowström stellt in einem Abschlussbericht die endgültige “Arisierung“” des Kaufhauses Barasch fest.Das Kaufhaus sei “nunmehr an den Kaufmann L[emke]aus Köslin veräußert worden.” Weiter heißt es: “Eine Beteiligung der bisherigen Firmen-Inhaber an dem Umsatz des neuen Unternehmens besteht […] nicht mehr, sodass es sich bei der neuen Firma L. nicht um ein getarntes jüdisches Unternehmen handeln dürfte.”